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2. Regierung
Druckfassung

1. Augenzeugen und Familien   |   2. Regierung   |   3. Reformation   |   4. Konfessionen


B. Territorien

Das neue duale Ordnungssystem bezog seine Stärke aus der anhaltenden Weiterentwicklung der Erbfürstentümer der Zeit der Feudalherrschaft zu territorial definierten, institutionalisierten Staaten. Unter Historikern gilt diese sehr deutsche Erfindung seit langem als ein Kennzeichen der frühneuzeitlichen deutschen Geschichte. Das Reich verfügte über begrenzte Länder, die sich durch die Herrscherdynastie identifizierten (die Habsburger wurden auch das „Haus Österreich“ genannt); Untrennbarkeit des Landbesitzes unter den männlichen Mitgliedern der Dynastie; eine interne Souveränität, die, wenn überhaupt, nur durch den Landtag begrenzt war; Gesetzgebungsgewalt (Statute); sowie zumindest Ansätze einer Steuer-, Rechts- und Verwaltungsbürokratie. Zwei Faktoren trugen außerdem dazu bei, die Dynastien davon abzuhalten, das Reich zum Schauplatz interdynastischer Kriege zu machen: das breite Netzwerk von Ehen zwischen den Dynastien sowie der Anstieg der körperschaftlichen Macht der Fürsten durch den Reichstag. Letztere förderten eine starke Kultur der Vermittlung und Verhandlung unter dem Adel und trieben so die Stabilität des öffentlichen Lebens im Reich voran.

Wie viele andere Neuerungen auch, nahm das territoriale Fürstentum zunächst als Idee Gestalt an und erst später als Realität. Fast 150 Jahre bevor die Reform der österreichischen Regierung unter Maximilian I. begann, wurde ein Schriftstück entworfen, welches die Wesenszüge eines teilsouveränen dynastischen Staates vorwegnahm. Das Privilegium Maius, das vorgab, ein kaiserlicher Freiheitsbrief aus dem 12. Jahrhundert zu sein, tatsächlich aber eine österreichische Fälschung aus dem 14. Jahrhundert war, beschreibt recht genau die Merkmale eines weitgehend autonomen, teilsouveränen Territorialstaats. Es erklärte die „Erzherzöge“ für vom Kriegsdienst sowie von der Rechtsprechung des Reiches ausgenommen und legte außerdem das Erstgeburtsrecht sowie die Unteilbarkeit der Ländereien fest. Um das Jahr 1500, als territoriale Gemeinwesen zu entstehen begannen, welche entfernt diesen Vorstellungen ähnelten, waren deren Fürsten nichtsdestoweniger gehalten, ihre in parlamentarischen Körperschaften versammelten führenden Untertanen zumindest zu Rat zu ziehen. Der Landtag war im südwestdeutschen Württemberg besonders stark, dort war der Adel im Wesentlichen unabhängig von der herzoglichen Gewalt und die Städte relativ stark, jedoch in ihrer Größe gemäßigt. Der Tübinger Vertrag von 1514 bezeugt, in welchem Maß der Landtag seinen Willen in politischen Krisenzeiten geltend machen konnte. Er hatte bis 1805 als eine Art schriftliche Verfassung für das Herzogtum Württemberg Bestand. Die Verhandlungen zwischen Herrscher und Ständen folgten Gewohnheitsregeln, welche in einigen Staaten schließlich schriftlich festgehalten wurden, wie an den Verfahrensregeln für den Landtag in Kursachsen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu sehen ist. Die andere Seite der Territorialisierung zog die Schaffung eines zentralen Verwaltungsapparates sowie von Regeln für die Verwaltung und Rechtsprechung des Regimes nach sich. Als Ergebnis dessen entstanden mit gebildeten (oder zumindest ausgebildeten) Beamten besetzte Bürokratien, die in Büros und Kollegien mit bestimmten funktionalen Befugnissen gegliedert waren. Dieser Prozess breitete sich von Süden nach Norden aus.


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