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7. Die Originalität der deutschen Aufklärung
Druckfassung

1. Die Konturen des Alltagslebens   |   2. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation   |   3. Macht und Herrschaft im deutschen Territorialfürstentum: Der Ständestaat   |   4. Die Gesellschaftsordnung   |   5. Das Wirtschaftsleben   |   6. Kulturelles Leben im Anschluss an den Dreißigjährigen Krieg   |   7. Die Originalität der deutschen Aufklärung   |   8. Spannungen der Spätaufklärung   |   9. Schlußbemerkungen: Drei Geisteshaltungen des Zeitalters   |   10. Kurzbibliographie zusammenfassender Werke und allgemeiner Darstellungen zur deutschen Geschichte


Das deutsche politische und soziale Denken wies dem „aufgeklärten Absolutismus“ über weite Teile des 18. Jahrhunderts einen Ehrenplatz zu. Dessen Theorie, in der englischsprachigen Welt durch die Schriften des Engländers Thomas Hobbes bekannt, besagte, dass die Menschen aus dem (hypothetisch angenommenen) Urzustand der Natur heraustraten, um einen Gesellschaftsvertrag zu schließen. Mit ihm würden sie um des Friedens und der Sicherheit willen einen souveränen Monarchen schaffen, der unwiderruflich über sie herrschen sollte. Doch diese Monarchie war sowohl durch Vernunft wie auch Eigeninteresse verpflichtet, nach dem gesellschaftlichen Wohl zu streben anstatt nach ihrer eigenen, eng gefassten Selbsterhöhung. Friedrich II., der geistig begabte preußische „Philosophenkönig“, übernahm solche Ideen bereitwillig und argumentierte, dass „der König der erste Diener des Staates sei.“ Nach dieser Auffassung handelte es sich beim „Staat“ um eine über dem Monarchen stehende Macht und eine, die in der Raison d’État (Staatsräson) ihre eigene vernunftgemäße Notwendigkeit besaß – nämlich, nur jene diplomatischen, militärischen, wirtschaftlichen und sozialen Ziele zu verfolgen, die sie maximal gegen feindliche Mächte stärken und innenpolitisch bereichern würden.

Das heißt, es gab Gesetze der Staatskunst, die der Herrscher zu befolgen hatte – andernfalls lief er Gefahr, unterzugehen. Friedrich erkannte die unter seinen Untertanen (Adligen, Bürgern, Dorfbewohnern) herrschende Ungleichheit, argumentierte jedoch, dass umfangreichere Rechte auch weiter gehende Pflichten auferlegten. Es sei Aufgabe des Staates, die Gesellschaft zu rationalisieren und zu vervollkommnen, indem er die Prinzipien der Vernunft auf alle öffentlichen Projekte anwandte, einschließlich der christlichen Religion, deren Grundsätze der Umdeutung bedurften, um sie mit den Ideen der Aufklärung in Einklang zu bringen.

Es war eine entscheidende Entwicklung in der deutschen Geschichte, dass das friderizianische Preußen die deutsche Aufklärung unterstützte und sie sich sogar zueigen machte, was schließlich die politische Kultur des Staates sehr nachdrücklich prägte. Scharen von vorwiegend bürgerlichen Universitätsabsolventen strömten in das Beamtentum und die geistlichen Stellen, in denen sie die Verbindung des preußischen Königreichs und der Aufklärungsphilosophie predigten. In dieser Auffassung, begeistert geteilt von Friedrich II., trat der preußische Staat als Motor des rationalen Fortschritts und Wohlstands auf. Staatliche Macht diente der Vernunft. Es handelt sich dabei um eine Gleichung, die im Frankreich oder England des 18. Jahrhunderts nie allgemeine Zustimmung erlangte, egal wie sehr der Staat dort respektiert (und gefürchtet) war. Doch bis zum späteren 18. Jahrhundert hatte die „aufgeklärte Monarchie“, vor allem nach dem Vorbild des friderizianischen Preußens, aber auch dank der österreichischen Reformen Maria Theresias und Josephs II., den politischen Maßstab in ganz Deutschland gesetzt.

Dieser Trend erhöhte in der deutschen Gesellschaft das Selbstbewusstsein und die tatsächliche Bedeutung des gebildeten Bürgertums, aus dem die meisten Universitätsabsolventen stammten, die sich anschließend als Aufklärungsdenker, ausgebildete Angehörige der freien Berufe und Staatsbeamte auszeichneten (wenngleich zu deren Reihen viele Adelssöhne zählten). Solche bürgerlichen Absolventen bildeten letztlich eine spezifische Klasse in der modernen deutschen Gesellschaft: das Bildungsbürgertum. Seine Angehörigen gaben zunehmend den intellektuellen und kulturellen Ton an, im Gegensatz zur aristokratischen Hofkultur der vorangegangenen Epoche. Aus ihnen rekrutierten sich die Kulturschaffenden, die der modernen deutschen Sprache ihre Form gaben und eine neue deutsche Literatur von europäischem Rang hervorbrachten. Sie formten die Öffentlichkeit und steuerten die inspirierenden Ideen bei, die – besonders in Gestalt von Johann Sebastian Bach, Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart – dabei halfen, die deutsche Musik zu europäischer Größe zu heben.

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