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3. Macht und Herrschaft im deutschen Territorialfürstentum: Der Ständestaat
Druckfassung

1. Die Konturen des Alltagslebens   |   2. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation   |   3. Macht und Herrschaft im deutschen Territorialfürstentum: Der Ständestaat   |   4. Die Gesellschaftsordnung   |   5. Das Wirtschaftsleben   |   6. Kulturelles Leben im Anschluss an den Dreißigjährigen Krieg   |   7. Die Originalität der deutschen Aufklärung   |   8. Spannungen der Spätaufklärung   |   9. Schlußbemerkungen: Drei Geisteshaltungen des Zeitalters   |   10. Kurzbibliographie zusammenfassender Werke und allgemeiner Darstellungen zur deutschen Geschichte


Alle geistlichen Fürstentümer des Heiligen Römischen Reiches und nahezu all seine unzähligen weltlichen Fürstentümer und Städterepubliken waren in irgendeiner Form Ständestaaten. Dennoch ist es üblich, sich den Zeitraum von 1648-1789 als „Zeitalter des Absolutismus“ vorzustellen, in dem der Aufstieg zentralisierter militärisch-bürokratischer Staaten stattfand, regiert von weltlichen Fürsten – der bevorzugte, aber selten erlangte Titel war der eines Königs –, die von den historischen Ständen unabhängig waren. Zweifellos spiegelt dies den selbst für die damalige Zeit spektakulären Aufstieg des Königreichs Preußen wider, dem es durch die Diplomatie des Kanzlers Bismarck und die Kräfte der preußischen Armee im 19. Jahrhundert schließlich gelang, einen einzigen deutschen Nationalstaat zu schaffen, das Reich von 1871, in das alle noch existierenden deutschen Fürstentümer unter preußischer Vormachtstellung eintraten. Das kaiserliche Österreich, das ebenfalls den absolutistischen Weg beschritten hatte, erlitt 1866 durch die Preußen eine militärische Niederlage und verfolgte als einziger außerhalb Bismarckscher Grenzen überlebender Staat unter deutscher Regierung ab 1867 bis zu seinem Ende 1918 einen anderen Weg.

Der Staat, der allmählich als Königreich Preußen unter der Hohenzollerndynastie hervortrat, war ein Archipel von Provinzen, die sich über Nord- und Mitteldeutschland vom Niederrhein bis Ostpreußen an der russischen Grenze erstreckten. Seine politische Hauptstadt war Berlin in der Provinz Brandenburg. Die Hohenzollern waren Calvinisten, die meisten ihrer Untertanen jedoch Lutheraner. Schließlich umfasste Preußen außerdem eine große Anzahl von Katholiken und im absolutistischen Zeitalter sammelten sich dort auch zahlreiche Juden, wodurch es zur Heimat der größten jüdischen Bevölkerung in Deutschland wurde. Preußen war multikonfessionell und mit seinen französischen Hugenotten, seinen jüdischen, polnischen und anderen slawischen Bevölkerungsgruppen zudem multiethnisch.

Die Hohenzollern versuchten die Verteidigung ihrer weitläufigen Besitzungen zu stärken, die der Dreißigjährige Krieg weiträumig in Brand gesetzt hatte, indem sie dem spanischen und französischen Vorbild folgten und ein stehendes Heer aufbauten. Dieses Vorhaben zwangen sie den widerstrebenden und kriegsramponierten, vom Adel angeführten Ständen auf, die unter Druck ihr Einverständnis zur ständigen direkten Besteuerung von Nichtadligen sowie einer indirekten Steuer gaben, deren Schärfe auch der niedere Landadel zu spüren bekam. Neben einer wachsenden Armee finanzierten die ansteigenden Steuereinnahmen auch eine neue fürstliche Bürokratie. Diese arbeitete ihr eigenes Verwaltungsrecht aus. Dadurch wurde oftmals ein älteres Gewohnheitsrecht außer Kraft gesetzt, das die Reste der brandenburgisch-preußischen Stände, herabgestuft zu Versammlungen unterhalb der Provinzebene und einigen Exekutivausschüssen in Berlin, recht schwach zu wahren versuchten.

Die hohenzollernschen Herrscher (nach 1701 Könige von Preußen) spannten zahlreiche calvinistische Adlige und Bürger aus Frankreich (Hugenotten) als Verwaltungsfachleute und Armeeoffiziere in ihr Staatsbildungsprojekt ein. Um ihr merkantilistisches, staatlich gelenktes Programm der Neuansiedlung und Wirtschaftsentwicklung voranzutreiben, bedienten sie sich der jungen und wohlhabenden, aber politisch schutzlosen jüdischen Gemeinde der Finanziers und Unternehmer. Die Hohenzollern errichteten eine neue Universität und reorganisierten generell die höhere Bildung. Geistliche und Beamte – eine an den Staat gebundene Bildungsklasse – sollten so ausgebildet werden, dass sie ihre Ämter in einem Geist ausübten, der pietistischen Protestantismus, barocken Neustoizismus und, besonders nach 1740, eine Art des europäischen Aufklärungsgedankens verband, der die vernunftorientierte, reformgetriebene Beamtenmonarchie als bevorzugte Triebkraft gesellschaftlicher „Glückseligkeit“ und „Perfektion“ betrachtete.

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