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VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen
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Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

Obwohl die Nazis für die traditionelle Familie warben, stellten ihre Bemühungen, die Geburtenrate der deutschen Frauen zu erhöhen, einen Angriff auf sie dar. Eifrige Organisationstätigkeit und Propaganda, die dazu bestimmt war, deutsche Kinder und Jugendliche zu politisieren und indoktrinieren – sie wurden als wichtiger für die Zukunft betrachtet als die älteren Generationen – stellten zusätzliche Belastungen für die Familien dar. Das Ziel der Nazis bestand darin, eine vorrangige und instinktive Loyalität zu Hitler und dem System zu schaffen, teilweise indem sie andere Einflüsse – einschließlich der Eltern – ausschlossen oder minimalisierten.

1933 wurde Reichsjugendführer Baldur von Schirach (1907-1974) die Verantwortung über sämtliche Jugendaktivitäten übertragen. Die folgende Gleichschaltung einer großen Bandbreite bestehender Jugendorganisationen in der Frühphase des Regimes resultierte in deren Auflösung oder Vereinnahmung durch die Hitler-Jugend. Mit der Verabschiedung des „Gesetzes über die Hitler-Jugend“ am 1. Dezember 1936 wurde die Mitgliedschaft in der Organisation zumindest nominell zwingend, und die Befugnisse der Hitler-Jugend wurden denen der Schule und des Elternhauses gleichgestellt. Die „Zweite Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Hitler-Jugend“ vom 25. März 1939 stellte genaue Richtlinien für die Zwangsmitgliedschaft aller Kinder im Alter von 10 bis 18 Jahren in den NS-Jugendorganisationen auf – der Hitler-Jugend, dem Jungvolk und dem Bund Deutscher Mädel.

Die Vereinnahmung der Jugend durch die Nazis kam nicht bei jedem gut an (34). Es gibt Anzeichen dafür, dass mit der Zeit die Begeisterung und Dynamik der Jugenderfahrung während der 1930er Jahre der Reglementierung, beruflichem Opportunismus und sogar der Entfremdung wichen. Ein Bericht der Inlandsabteilung des Sicherheitsdienstes (SD) vom 12. August 1943 beschrieb die relativ pessimistische und zynische Einstellung älterer Mitglieder der Hitler-Jugend. Noch alarmierender wirkte ein Anfang des Jahres 1944 verfasster Bericht des Justizministeriums über das Problem der Jugendbanden. Angesichts der durch den Krieg verursachten Einschränkungen und zahlreicher anderer Probleme war die Unzufriedenheit so groß, dass selbst die Androhung schwerer Strafen die oppositionellen Jugendgruppen nicht auflösen konnte.

Während des Dritten Reiches war die Grundschul- und weiterführende Bildung mit NS-Propaganda durchsetzt und die Lehre an den Universitäten wurde ebenfalls dem „Zeitgeist“ entsprechend angepasst. Geschichte war ein besonders heikles Fach. Daher gab das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1938 Richtlinien für den Geschichtsunterricht heraus. Dabei profitierten die Nazis von nationalistischen und fremdenfeindlichen Traditionen, die unter Studenten und Fakultätsmitgliedern herrschten. Letztlich stieß die NS-Reglementierung jedoch an ihre Grenzen – einige Studenten hielten sich abseits, andere verfielen in politische Gleichgültigkeit (35).



(34) Eine allgemeine Abhandlung bietet Michael H. Kater, Hitler Youth. Cambridge: Harvard University Press, 2004 (dt.: Michael H. Kater, Hitler-Jugend, übersetzt von Jürgen Peter Krause. Darmstadt: Primus-Verlag, 2005).
(35) Geoffrey J. Giles, Students and National Socialism in Germany. Princeton: Princeton University Press, 1985; Steven Remy, The Heidelberg Myth: The Nazification and Denazification of a German University. Cambridge: Harvard University Press, 2003.

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