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VI. Militär, Außenpolitik und Krieg
Druckfassung

Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

Die Konkurrenz um Ressourcen innerhalb der Wehrmacht und Verwirrung über die Ziele der deutschen Außenpolitik veranlassten Hitler, am 5. November 1937 eine Sitzung in der Reichskanzlei einzuberufen. An ihr nahmen Blomberg, Außenminister Konstantin Freiherr von Neurath, die Befehlshaber der drei Waffengattungen (Generaloberst Werner von Fritsch, Generaladmiral Erich Raeder und Luftwaffenchef Hermann Göring) sowie Hitlers Militäradjutant Oberst Friedrich Hossbach teil, der auch Protokoll führte. Hitler vermied es, bei der Sitzung die volle Bandbreite seiner Ziele zu beschreiben; vielmehr versuchte er, das Militär und das Außenministerium auf die bevorstehenden diplomatischen und militärischen Schritte vorzubereiten, die gegen Österreich und die Tschechoslowakei unternommen werden würden, ungeachtet des möglichen Vorgehens Großbritanniens oder Frankreichs. (Trotzdem verraten einige Bemerkungen Hitlers sein Interesse an einem viel weiter reichenden Expansionskrieg.) Angesichts des Standes der deutschen Wiederbewaffnung reagierten Blomberg und Fritsch zurückhaltend und warnten vor den Gefahren eines Krieges mit England und Frankreich.

Fritsch hatte, zumindest nach seinem eigenen Bekunden, eine Vorgeschichte von Schwierigkeiten mit Hitler, die bis zu seiner Ernennung 1934 zurückging. Blomberg wiederum hatte bis dato gute Beziehungen zu Hitler gehabt. Nach der Sitzung am 5. November sahen hochrangige Nazis jedoch die Notwendigkeit, die beiden von der Spitze der militärischen Hierarchie zu entfernen. Schon bald griffen sie auf hinterhältige Methoden zurück. Nachdem Blomberg am 12. Januar 1938 erneut geheiratet hatte, tauchte eine Polizeiakte über seine neue Braut auf; aus ihr ging eine frühere Verhaftung wegen Prostitution hervor. Kurz darauf wurde gegen Fritsch der falsche Vorwurf der Homosexualität erhoben. Hitler benutzte diese sogenannten Skandale geschickt, um beide Männer aus ihren Ämtern zu zwingen. (Fritsch bestand auf einem Militärgerichtsverfahren und wurde schließlich freigesprochen, jedoch nicht wieder ins Amt eingesetzt.) Hitler selbst ersetzte Blomberg als Kriegsminister; sein neuer Oberbefehlshaber des Heeres wurde Walter von Brauchitsch (1881-1948). (Ironischerweise hatte Hitler Brauchitsch Geld gegeben, damit dieser rechtzeitig zu seiner Ernennung noch rasch seine eigenen Eheprobleme lösen konnte.) Neurath, der ebenfalls bei der Sitzung vom 5. November Bedenken geäußert hatte, wurde durch den Hitler treu ergebenen Joachim von Ribbentrop (1893-1946) ersetzt (28).

Der „Anschluss“ Österreichs wurde nach dem deutschen Einmarsch am 12. März 1938 ohne ernsthafte internationale Auswirkungen vollzogen. Deutsche Forderungen gegenüber der tschechoslowakischen Souveränität sowie Ansprüche auf tschechisches Gebiet – die als Sudetenland bekannte, ethnisch gemischte Grenzregion – brachten hingegen beide Länder an den Rand eines Krieges. Hitlers tatsächliches Ziel, dem er bei der Sitzung vom 5. November Ausdruck verlieh, war nicht die Annexion des Sudetenlandes, sondern vielmehr die Zerschlagung der Tschechoslowakei insgesamt. Frankreich hatte bereits ein formelles Abkommen zum Schutz der Tschechoslowakei unterzeichnet, wollte jedoch britische Unterstützung sicherstellen. Die Briten unterstützten jedoch eine Berichtigung der Unausgewogenheiten im Versailler Vertrag und hatten daher keinerlei Absicht, den Tschechen zu helfen. Auf den Vorschlag des italienischen Premierministers Benito Mussolini hin reisten der britische Premierminister Neville Chamberlain und der französische Premier Édouard Daladier am 29. September 1938 im letzten Moment zu einem Gipfeltreffen nach München. Da beide auf einen Krieg sowohl politisch und militärisch unvorbereitet waren, gaben Chamberlain und Daladier Hitlers Forderungen nach einer sofortigen Annexion des Sudetenlandes nach. Als letzter Schritt in der britischen Politik des „Appeasement“ gegenüber Nazi-Deutschland wurde das Münchener Abkommen zum Symbol der Gefahren, die in diplomatischen Zugeständnissen an einen Aggressor liegen.



(28) Harold C. Deutsch, Hitler and His Generals: The Hidden Crisis, January – June 1938. Minneapolis: University of Minnesota Press, 1974 (dt.: Harold C. Deutsch, Das Komplott oder die Entmachtung der Generale. Blomberg und Fritsch-Krise, Hitlers Weg zum Krieg, übersetzt von Burkhardt Kiegeland. Zürich: Neue Diana Press, 1974).

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