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V. Rassenpolitik
Druckfassung

Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

Die „Euthanasie“-Morde wurden in einer geheimen Aktion (bekannt als T4) ausgeführt, die von Mitarbeitern der „Kanzlei des Führers“ geleitet wurde. Ärzte waren in die Selektion der Opfer und manchmal auch in das Töten selbst involviert. Nachdem einige Ärzte eine Versicherung der Legalität dieser Aktivitäten forderten, verfasste Hitler Ende Oktober 1939 eine schriftliche Autorisierung, in der er wiederholte, was er zuvor nur in mündlicher Form genehmigt hatte. Diese Autorisierung wurde in Form eines Briefes erteilt, der an Dr. Karl Brandt (1904-1948), den Leibarzt Hitlers, und Philipp Bouhler (1899-1945), den Chef der „Kanzlei des Führers“, adressiert war. Der Brief war auf Hitlers persönlichem Briefpapier verfasst und von ihm selbst unterschrieben. Er war außerdem zurückdatiert auf den 1. September 1939, das Datum der deutschen Invasion Polens. Diese Änderung stimmte mit Hitlers Ansicht überein, dass Kriegszeiten drastische neue Maßnahmen notwendig machten. Das Original des Briefes wurde in einem Safe in der „Kanzlei des Führers“ verwahrt, später wurden Ärzten privat Kopien des Briefes gezeigt, um sie zur Beteiligung an dem Programm zu überreden. Nur eine Kopie hat den Krieg überdauert. Dieser Brief ist der einzige bekannte schriftliche, von Hitler unterzeichnete Befehl, der eine Mordaktion autorisiert.

Vollständige Geheimhaltung war selbst in Nazi-Deutschland schwer aufrecht zu erhalten. Im September 1941 erstattete Lily Offenbacher, ein deutsch-jüdischer Flüchtling in New York, dem U.S. Coordinator of Information Bericht über die Kanäle, durch welche Informationen über das sorgfältig getarnte T4-Programm den Deutschen zuflossen (18). Ihre Berichte aus zweiter Hand verbanden korrekte Informationen, wie die Tatsache, dass in Heimen und Anstalten untergebrachte Juden die ersten Opfer der Aktion waren, mit falschen Informationen, wie ihre Aussage, dass schwer verwundete deutsche Soldaten ebenfalls umgebracht würden. Offenbacher übermittelte außerdem Gerüchte, dass ein Hauptzweck dieser Morde darin bestand, Giftgas zu testen – ohne zu erkennen, dass die Aktion dazu bestimmt war, eine gesamte Gruppe von Menschen vollständig auszulöschen. Zwischen September 1939 und Ende August 1941 ermordeten die Euthanasiebevollmächtigten mindestens 70.000 für erbkrank erklärte Deutsche. Sowohl die Art als auch das Ausmaß des T4-Programms rechtfertigen die Einschätzung eines Historikers, dass diese erste Tötungswelle den ersten Genozid der Nazis ausmachte, mehr als zur Genüge (19).

In den ersten Kriegsjahren waren die Nazis auf Propaganda und Indoktrination angewiesen, um „den Juden“ wieder als Figur des absolut Bösen einzuführen und dadurch das Fundament für das Kommende zu bereiten. Die Ausbildung von SS und Polizei stellte eine der ergiebigsten Gelegenheiten für die ideologische Indoktrination dar. SS-Sturmbannführer Paul Zapp (1904-?) gehörte zu denjenigen, welche SS und Polizei über die „Judenfrage“ unterrichteten. Zapps Vortragsnotizen vom Ende des Jahres 1940 bieten einen interessanten Einblick in die Art von Bildung, die er vermittelte. Seine von Himmler genehmigten Aufzeichnungen stimmen mit der Ansicht der SS überein, dass die „Judenfrage“ nur auf weltweiter Basis gelöst werden könne. Als Befehlshaber einer der speziellen mobilen Mordeinheiten, die als Einsatzkommandos bekannt waren, setzte Zapp seine Theorien später in die Tat um.



(18) Der Coordinator of Information, eine kleine US-Geheimdienststelle, war der Vorgänger des Office of Strategic Services (OSS).
(19) Henry Friedlander (1995).

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