GHDI logo

I. Aufbau des NS-Regimes
Druckfassung

Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und der Allgemeine Freie Angestelltenbund (AFA) waren seit langem mit den Sozialdemokraten verbunden. Nachdem die Nazis an die Macht kamen, hofften jedoch einzelne Funktionäre beider Organisationen, ihre Macht erhalten zu können, indem sie jegliche Verbindungen zur SPD abbrachen und dem neuen Regime ihre Gefolgschaft anboten. Als dem Namen nach sozialistische Partei verfügte die NSDAP über ihre eigene kleine Gewerkschaftsorganisation, die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO), welche eine ausgesprochene Vorliebe dafür hatte, die Arbeit anderer Gewerkschaften zu behindern. Durch die Abschaffung der eigenständigen „spaltenden“ Organisationen, die althergebrachte gesellschaftliche und politische Differenzen widerspiegelten, wollten die Parteifunktionäre einheitliche, funktionale Gewerkschaftsorganisationen unter der Kontrolle der Nazis schaffen.

Der 1. Mai war der traditionelle Aufmarschtag der Sozialistischen Internationalen. Von den Nazis wurde der 1. Mai seiner marxistischen Tradition entledigt und aus ihm ein gesetzlicher Feiertag gemacht, begleitet von einer massiven Propagandakampagne. Am 1. Mai 1933 versammelte sich eine Menschenmenge von ungefähr 500.000 auf einem Feld nahe des Flughafens Tempelhof, um eine Rede Hitlers zu hören. Insgesamt beteiligten sich an diesem Tag ca. zehn Millionen Arbeiter an den überall in Deutschland stattfindenden Feierlichkeiten, an denen auch der ADGB bereitwillig teilnahm (4). Die Ereignisse des Tages waren teilweise von der Absicht motiviert, den Grundstein für den nächsten Schritt des Regimes zu legen – eine Aktion zur Zerschlagung aller sozialdemokratischen Gewerkschaftsorganisationen.

Im ganzen Land sollten Gewerkschaftsgebäude besetzt, hochrangige Gewerkschaftsfunktionäre verhaftet und Gewerkschaftsvermögen beschlagnahmt werden. Am 2. Mai 1933 wurden „spalterische“ Gewerkschaftsverbände abgeschafft und durch die Deutsche Arbeitsfront (DAF) ersetzt, eine Scheingewerkschaft unter der Leitung des NSDAP-Reichsorganisationsleiters Dr. Robert Ley (1890-1945). Die DAF war darauf ausgerichtet, den Arbeitern ein generelles Gefühl der Wertschätzung durch das Dritte Reich zu vermitteln, ohne ihnen irgendwelche praktischen Mittel zur Verfügung zu stellen, mit denen sie ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen hätten vertreten können. Am 22. Juni 1933 verbot die Regierung schließlich die Sozialdemokratische Partei.

Während er fest entschlossen war, „marxistische“ Einrichtungen zu zerschlagen und den Weg zu einem Ein-Parteien-Staat einzuschlagen, war Hitler – bis zu einem gewissen Punkt – bereit, über katholische Interessen zu verhandeln. Den Regierungen der Weimarer Republik war es nie gelungen, mit deutschen Vertretern des Katholizismus und dem Vatikan zu einer Einigung über die Bedingungen eines angemessenen Verhältnisses zwischen dem Staat und der mächtigen internationalen Kirche zu kommen, der ungefähr ein Drittel der Deutschen angehörten. Hitlers Regierung schaffte nicht nur dies, sie fand darüber hinaus auch Wege, die katholische Kirche zur zumindest stillschweigenden Unterstützung einiger ihrer Ziele zu bringen. Hierzu gehörte auch die Auflösung der Zentrumspartei, die lange Zeit die Absicherung der religiösen und weltlichen Interessen der deutschen Katholiken als Teil ihres Daseinszwecks betrachtet hatte. Am 20. Juli 1933 unterzeichneten Vertreter des Deutschen Reiches und der katholischen Kirche ein Konkordat, welches das Verhältnis zwischen beiden Seiten regelte.

Am 14. Juli 1933, sechs Tage vor Unterzeichnung des Reichskonkordats, hielt Hitler eine Kabinettssitzung ab. Wie das Protokoll nahe legt, war Hitler zuversichtlich, das Abkommen würde das Regime durch Unterstützung in seinem „Kampf gegen das internationale Judentum“ stärken. (Hitler glaubte wahrscheinlich, dass der Vatikan Sanktionen oder Eindämmungsversuche gegen Deutschland – Bestrebungen, für die jener das „internationale Judentum“ verantwortlich machte – nicht unterstützen würde.) Obwohl die Katholiken Einwände gegen die anti-christlichen Elemente in der Nazi-Bewegung erhoben, war der Vatikan bereit, eine formale Beziehung zum NS-Staat einzugehen und katholische Bischöfe auf dessen Unterstützung zu verpflichten. Am selben Tag wurde die NSDAP zur einzigen rechtmäßigen Partei in Deutschland erklärt. Zusammengenommen markierten diese beiden Schritte – die Unterzeichnung des Reichskonkordats und die Abschaffung aller anderen Parteien – die Konsolidierung der NS-Diktatur. Theoretisch war der greise Hindenburg noch Reichspräsident, doch er war nicht viel mehr als eine Galionsfigur. In Einzelfällen gelang es ihm, Hitlers Impulse zu mäßigen, doch blockieren konnte er sie nie.



(4) Ian Kershaw, Hitler, 1889-1936: Hubris. New York: Norton 1999, S. 476 (dt.: Ian Kershaw, Hitler. 1889-1936, übersetzt von Jürgen Peter Krause. München: Deutscher Taschenbuchverlag, 2002, S. 602).

Seite 7

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite