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I. Aufbau des NS-Regimes
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Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

Obwohl die Nazis von einer „nationalen Revolution“ sprachen, wollte Hitler den Anschein von Legalität erhalten. Wie seine unmittelbaren Vorgänger im Amt des Reichskanzlers auch, hatte er sich der präsidialen Notverordnungen bedient, um sich von den durch den Reichstag auferlegten politischen Fesseln freizumachen. Nun war jedoch die Zeit für Hitler gekommen, um das Gegenteil zu versuchen: den neu gewählten Reichstag dazu zu benutzen, um sich selbst von der Abhängigkeit von Notverordnungen zu befreien. Also legte die Regierung einen dehnbaren, von Frick entworfenen und vom Kabinett genehmigten Gesetzentwurf mit dem Titel „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, auch „Ermächtigungsgesetz“ genannt vor. Erstaunlich in seiner Reichweite, sah er ein vereinfachtes Gesetzgebungsverfahren vor – der Reichskanzler würde die Gesetze vorbereiten, das Kabinett sie ausführen und das Reichsgesetzblatt sie veröffentlichen. Anders ausgedrückt, würde die Maßnahme Hitlers Kabinett „ermächtigen“, Gesetze ohne Zustimmung des Reichstages zu verabschieden – selbst solche, die sich von der Verfassung entfernten, ihr widersprachen oder sie änderten. Die einzige Einschränkung bestand darin, dass zukünftig unter dem Ermächtigungsgesetz verabschiedete Gesetze den Reichstag, den Reichsrat und die Machtbefugnis des Reichspräsidenten nicht berühren durften. Diese Einschränkung war in gewisser Hinsicht inkongruent mit dem Ermächtigungsgesetz selbst, da dieses bereits eine Untergrabung der erwähnten Verfassungsorgane in Aussicht stellte.

Um das verfassungsändernde Ermächtigungsgesetz zu verabschieden, brauchte die Regierung eine Zweidrittelmehrheit im Reichstag. Am 23. März 1933 versammelten sich die meisten der neugewählten Reichstagsabgeordneten – zumindest jene, die nicht verhaftet worden waren – in der Berliner Krolloper zur Eröffnungssitzung. (Die Sitzung fand dort statt, weil das Reichstagsgebäude ausgebrannt war.) Es waren an diesem Tag keine kommunistischen Abgeordneten anwesend, da sie allesamt entweder verhaftet oder gezwungenermaßen untergetaucht waren. Ebenso verhaftet oder untergetaucht waren 26 sozialdemokratische Abgeordnete, die restlichen 94 waren jedoch anwesend. In seiner Eröffnungsrede versprach Hitler, den Marxismus zu zerschlagen und Verrat mit barbarischer Unbarmherzigkeit zu bestrafen. Die gespaltene Zentrumspartei, die sich von Versprechungen des Respekts gegenüber den Rechten der Katholiken irreführen ließ und die Konsequenzen des Widerstandes gegen die Regierung fürchtete, stimmte intern ab, um dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen und ihren 73 Abgeordneten Einstimmigkeit aufzuerlegen (Fraktionsdisziplin). Hitlers Regierung hatte nun die benötigten Stimmen.

Führende Sozialdemokraten hatten noch nie dazu geneigt, Gewalt einzusetzen, um gegen illegale Maßnahmen zu protestieren, und sie glaubten, dass es schlicht zu spät – und zu gefährlich – sei, um nun dazu aufzurufen. Während das Gebäude von SA- und SS-Männern buchstäblich besetzt war, hielt der langjährige SPD-Abgeordnete Otto Wels (1873-1939) eine mutige Rede, in der er an den Prinzipien und Zielen seiner Partei festhielt. Hitler, davon unbeeindruckt, hatte nichts als Beleidigungen und Verunglimpfungen für die Sozialdemokraten übrig. Das Ermächtigungsgesetz wurde mit 441 zu 94 Stimmen angenommen, wobei die SPD-Abgeordneten die einzigen waren, die mit „nein“ stimmten. Ohne weitere Debatte stimmte der Reichsrat geschlossen für das Gesetz. Das Ermächtigungsgesetz sollte ursprünglich am 1. April 1937 auslaufen, es wurde schließlich aber verlängert und blieb bis zum Ende des Dritten Reiches in Kraft.

Mit der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes versetzten die Nationalsozialisten der deutschen Demokratie den juristischen Todesstoß. Hiernach war es für jegliche andere politische Partei unmöglich, auch nur ein Stückchen Macht oder Einfluss zu behalten. Kabinettsmitglieder, die nicht in der Partei waren (z.B. Hugenberg) legten schließlich ihr Amt nieder oder wurden ersetzt. Während des Sommers 1933 unternahmen die Nazis eine Reihe von Schritten, die zur Abschaffung aller anderen Parteien führten.

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