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Überblick
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Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

Vom März 1930 bis zum Januar 1933 regierten drei aufeinanderfolgende Reichskanzler – Heinrich Brüning, Franz von Papen und Kurt von Schleicher – durch Notverordnungen des Reichspräsidenten und wiederholte Auflösung des Reichstages an handlungsunfähigen Parlamenten vorbei. Bis zur Mitte des Jahres 1932, als die wirtschaftliche Lage ihren Tiefpunkt erreichte, bewirkte jede durch die Reichstagsauflösungen notwendig gewordene Neuwahl lediglich eine Verstärkung der Extreme. Selbst nachdem sie in der Reichstagswahl vom November 1932 mehr als zwei Millionen Stimmen verloren hatte, war die NSDAP mit mehr als einem Drittel der 584 Sitze noch immer stärkste Partei.

Dennoch fehlte ihr immer noch eine parlamentarische Mehrheit. Hinter verschlossenen Türen wurde davon gesprochen, den Reichstag vorübergehend – oder sogar endgültig – aufzulösen oder die Monarchie wiederherzustellen. Diese Vorschläge fanden jedoch nicht die Zustimmung von Reichspräsident Hindenburg (1847-1934). Obwohl er ein überzeugter Monarchist war, hielt sich der gealterte Feldmarschall des Ersten Weltkriegs zumindest formal an die republikanische Verfassung. Zudem fürchtete er die öffentlichen Unruhen, die ein Staatsstreich hätte auslösen können.

Im Januar 1933 wurde einer von Hitlers Rivalen, der ehemalige Reichskanzler Franz von Papen (1879-1969), ein konservativer katholischer Aristokrat, aktiv und handelte im Verborgenen ein Einvernehmen aus – Hitler würde Reichskanzler werden und er selbst Vizekanzler. Daraufhin half Papen bei der Zusammenstellung eines Kabinetts von Ministern, die sowohl für Hitler als auch für Hindenburg akzeptabel waren. Der amtierende Reichskanzler Kurt von Schleicher, der über keinerlei Unterstützung im kurz vor der Einberufung stehenden Reichstag verfügte, gestand seine Niederlage ein und trat am 28. Januar 1933 zurück. Zwei Tage später wurde Hitler legal zum Reichskanzler ernannt.

Der neue Reichskanzler, unumstrittener „Führer“ seiner Partei, profitierte zudem von einem Bündnis mit der traditionell-konservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Dieses Bündnis gab ihm eine parlamentarische Basis von etwas über 40 Prozent der Sitze im Reichstag. Dabei ist wichtig anzumerken, dass nur zwei der ursprünglichen Kabinettsmitglieder Hitlers – Wilhelm Frick und Hermann Göring – Nationalsozialisten waren; der Rest waren konservative Nationalisten oder parteilose Fachleute. Vizekanzler Papen glaubte, die Zusammensetzung von Hitler’s Kabinett (und seine eigenen engen Verbindungen zu Hindenburg) würde es ihm ermöglichen, Hitler, der die Massen wirkungsvoller mobilisiert hatte als traditionelle Mitglieder der politischen Rechten, unter Kontrolle zu halten.

Die tatsächliche Revolution der Nationalsozialisten vollzog sich erst, nachdem Hitler im Amt war; sie geschah, nachdem er und die Mitglieder seines engeren Umfeldes sich der politischen und verfassungsrechtlichen Beschränkungen entledigten, die ihre Vorgänger gebunden hatten. Indem sie stufenweise eine Diktatur errichteten, nutzten sie ihre zunehmende Macht, um einen erheblichen Teil ihrer rassistischen und geopolitischen Agenda umzusetzen. Mochte ihre Vorgehensweise auch konservativ erscheinen, ihre Ziele waren alles andere als das.



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