GHDI logo

6. Politik im vereinten Deutschland
Druckfassung

Überblick   |   1. Von der Teilung zur Einheit   |   2. Die Vereinigungskrise   |   3. Normalität und Identität   |   4. Deutschland in der Welt   |   5. Der Abbau des Reformstaus   |   6. Politik im vereinten Deutschland   |   7. Übergänge: Von der Bonner zur Berliner Republik

Die ungeliebte Vision einer offiziellen Großen Koalition zwischen CDU, ihrer bayerischen Schwesterpartei der Christlich-Sozialen Union Deutschlands (CSU) und SPD wurde seit 1998 immer wieder an die Wand gemalt und nach der vorgezogenen Bundestagswahl vom September 2005 Wirklichkeit. Sie wurde aber auch als Politikchance begriffen, überfällige Reformen, die seit Jahren diskutiert werden, in die Tat umzusetzen. Dass eine Frau aus der ehemaligen DDR, Angela Merkel, als Bundeskanzlerin seit Herbst 2005 an der Spitze der Regierung steht, war nur kurz von Neuigkeitswert und von symbolischer, aber kaum von politischer Bedeutung. Die Große Koalition wurde im September 2009 durch eine Koalition von CDU/CSU und FDP abgelöst. Die Wahl der Koalitionspartner setzt Kontinuität voraus, die jedoch trügerisch ist. In den letzten beiden Jahrzehnten haben die Volksparteien CDU/CSU und SPD kontinuierlich Stimmen an die kleinen Parteien Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und die FDP verloren. Langfristig öffnet das neue Koalitionsmöglichkeiten zwischen CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen oder zwischen CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, die heute schon auf Länderebene praktiziert werden. Mit anderen Worten: die Parteienlandschaft hat sich seit 1990 stark verändert. Rechtsradikale Parteien haben bis heute nicht den Sprung in den Bundestag geschafft, doch die Verbindung der Regionalpartei PDS mit einer populistischen Linkspartei im Westen, die sich 2007 zu einer neuen Partei Die Linke zusammengeschlossen haben, hat die Konkurrenz um Wählerstimmen links von der Mitte angeheizt. Nie zeigte sich das deutlicher als bei den Bundestagswahlen im September 2009, als die SPD das schlechteste Wahlergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik einstecken musste.

Die Koalition der „neuen Möglichkeiten“ mit ihren Schwerpunkten „Sanieren, Investieren und Reformieren“, so Bundeskanzlerin Angela Merkel, hatte zur Durchsetzung ihrer Agenda die dazu nötigen Stimmen in beiden Häusern des Parlaments. Doch die Bundeskanzlerin hatte bei ihrer Amtseinführung auch von der Politik der „kleinen Schritte“ gesprochen. Allen Unkenrufen zum Trotz überlebte die Große Koalition die Legislaturperiode von vier Jahren und konnte am Ende auf Erfolge verweisen. Überfällige Reformen wurden verabschiedet, darunter die Föderalismusreformen, die Erhöhung des Rentenalters, die Senkung der Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent sowie, mit der Einführung des Elterngeldes und dem Versprechen von mehr Kindertagesstätten, auch eine Liberalisierung der Familienpolitik. Gerade als das Wirtschaftswachstum zunahm und die Arbeitslosenzahlen und Staatsschulden abnahmen, traf die internationale Finanzkrise 2008/09 auch Deutschland. Vereint wie selten zuvor zogen die Koalitionspartner an einem Strang und verabschiedeten Konjunkturpakete und Bankenreformen, die entscheidend zur Stabilisierung der Wirtschaft beitrugen. Doch die Bilanz der Großen Koalition ist nicht nur positiv. In vielen Politikbereichen zeigte sich, dass politische Struktur und Mentalitäten Kompromisslösungen erschweren. Selbst in Bereichen, in denen Fortschritte erzielt wurden, wie im Bereich der Gesundheitsreform, ist eine Reform der Reform nur eine Frage der Zeit. Auch wenn ideologische Abgrenzung immer wieder zur Schau gestellt wurde, die Koalitionsarbeit war pragmatisch. Am Ende, als sich CDU und SPD im Wahlkampf gegenüberstanden, hatten sich die Koalitionspartner so eingespielt, dass sich der gewohnte harte ideologische Schlagabtausch nicht einstellen wollte. Der Wahlkampf war auf wenige Wochen beschränkt und kam nie richtig in Fahrt.

Die Gesellschaft der Bundesrepublik ist heterogener und in ihrer Zusammensetzung älter geworden. Das befördert lange schmorende und nur teilweise gelöste Politikprobleme wie die Frage der Zuwanderung und der Integration von Ausländern sowie die Familienpolitik immer wieder in das Rampenlicht. Zu diesen ungelösten Problemen gehört auch gewalttätiger Rechtsradikalismus, der insbesondere in den neuen Bundesländern immer wieder von sich Reden macht.

Seite 14

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite