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3. Normalität und Identität
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Überblick   |   1. Von der Teilung zur Einheit   |   2. Die Vereinigungskrise   |   3. Normalität und Identität   |   4. Deutschland in der Welt   |   5. Der Abbau des Reformstaus   |   6. Politik im vereinten Deutschland   |   7. Übergänge: Von der Bonner zur Berliner Republik

Erinnerungsthemen haben in Deutschland stets Konjunktur, wobei die kontroverse Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der DDR die zentrale Rolle des Holocaust als Grundpfeiler der Gedächtniskultur nicht verdrängt hat. Fast alle der geschichtsträchtigen Themen, die in den letzten Jahren kontrovers diskutiert wurden – angefangen von der Rezeption der Wehrmachtausstellung und des Buches von Daniel Goldhagen, die Walser-Bubis-Debatte, die Entschädigung von Zwangsarbeitern, die Opfer-Täter-Diskussion bis hin zum Holocaust-Mahnmal in Berlin und dem geplanten Zentrum gegen Vertreibungen –, können nur unter dem Gesichtspunkt dieser Hierarchisierung von Erinnerung verstanden werden. Dennoch bleibt die „doppelte Vergangenheitsbewältigung“ von nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur ein Thema. Während sich über Jahrzehnte ein weithin akzeptierter Erinnerungskonsens über das Dritte Reich und den Holocaust etabliert hat, dauert die Diskussion darüber an, wie die zweite deutsche Diktatur bildungspolitisch vermittelt und historiographisch angemessen beurteilt werden kann. Die intensiv und kontrovers geführte öffentliche Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit machte sich zunächst vor allem an der Mitarbeit in der Staatssicherheit der DDR (Stasi), dann am repressiven Regimecharakter der DDR fest. Bis heute stehen sich in der ehemaligen DDR kontrastierende und oft emotional aufgeladene Erinnerungswelten gegenüber, während im Westen DDR-Geschichte nur selektiv auch als gesamtdeutsche Geschichte angenommen wird (22).

Mit der Vereinigung rückte nicht nur die historische Auseinandersetzung mit der DDR, sondern auch die Frage nach dem Miteinander der ost- und westdeutschen Bürger in das Rampenlicht. Man kann kritisieren, dass Deutschland im Gefolge der Vereinigung die Chance vertan hat, sich um den Aufbau einer gemeinsamen Identität zu bemühen. Weder eine neue Verfassung, noch neue Symbole oder ein groß angelegtes Projekt seien in die Wege geleitet worden (23). Plakativ mit den Begriffen des „Besserwessi“ und „Jammerossi“ versehen, zeigte sich schnell, dass ein Abbau der „Mauer in den Köpfen“ und die Annäherung unterschiedlicher politischer Orientierungen und Verhaltensmuster in Ost und West Zeit beanspruchen würde (24). Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass im regional stark gefärbten Deutschland politische Präferenzen und Verhaltensmuster nicht nur von Ost-West-Gegensätzen, sondern auch von beträchtlichen Nord-Süd-Kontrasten gekennzeichnet sind.



(22) Norbert Frei, „Der Einnerungstisch ist reich gedeckt. Geschichtsaufarbeitung in Deutschland: Die DDR-Diktatur wird vorbildung erforscht. Doch die Ergebnisse dürfen nicht politische instrumentalisiert werden“, Die Zeit, Nr. 14, 26. März 2009.
(23) Michael Naumann, „Toward the Berlin Republic – Past, Present, and Future“, in Dieter Dettke, Hg., The Spirit of the Berlin Republic (New York and Oxford, 2003), S. 236-37.
(24) Siehe dazu jetzt J.W. Falter et al., Hg., Sind wir ein Volk? Ost- und Westdeutschland im Vergleich (München, 2006).

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