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Bilder - Gesellschaftlicher Wandel

Unmittelbar nach der Vereinigung Deutschlands lag das gesellschaftspolitische Hauptaugenmerk zunächst vorrangig auf einer Bestandsaufnahme der Ost-West-Unterschiede sowie der Übertragung sozialpolitischer Institutionen und rechtlicher Regelungen. Gesellschaftliche Problemstellungen, die Gesamtdeutschland betrafen, traten vorübergehend in den Hintergrund. Bei den Verhandlungen zwischen den Regierungen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland im Sommer 1990 waren besonders schwierige Themen ausgeklammert worden, um den zeitgerechten Abschluss des Einigungsvertrages nicht zu gefährden. Zu diesen Themen gehörte das Abtreibungsrecht, das auch symbolisch die Errungenschaften der Frauen im DDR-System verkörperte. Während Frauen dort seit 1972 auf die Fristenlösung zurückgreifen konnten, war das Abtreibungsrecht in der Bundesrepublik restriktiver. Ein 1992 verabschiedetes Abtreibungsgesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt; erst 1995 trat ein neues Gesetz in Kraft.

Der in den ersten Jahren nach der Vereinigung benutzte Terminus „nachholende Modernisierung“ betraf die im Vergleich zur alten Bundesrepublik teilweise bestehenden Rückstände in der sozialen Entwicklung der ehemaligen DDR. In der strukturellen Gleichberechtigung von Mann und Frau besaß jedoch die DDR einen Modernisierungsvorsprung. Frauen waren sozialpolitisch privilegiert und in den Arbeitsprozess integriert. Konfrontiert mit dem Verlust von Arbeitsplätzen und einer Familienpolitik, die sich im Vergleich zur ehemaligen DDR stärker an traditionellen Familienwerten orientierte, empfanden sich viele Frauen in den neuen Bundesländern als Verlierer der Einheit. Trotzdem gilt, dass die Gleichstellung von Mann und Frau in der Bundesrepublik weiter Fortschritte machte. Schließlich gab es Modernisierungstrends, die Ost wie West gleichermaßen betrafen. Zu diesen Gemeinsamkeiten gehörte die Zunahme nichtehelicher Lebensformen, wenngleich die Gründe für diese Wahl zwischen Ost und West variierten. Die traditionelle Familie (Eltern mit Kindern) ist nach wie vor die am weitesten verbreitete Lebensart.

In den Jahrzehnten der Sozialstaatsexpansion von der Mitte der fünfziger bis Mitte der siebziger Jahre waren Klassenunterschiede in den Hintergrund getreten und soziale Gerechtigkeit nahm in der Werteskala vieler Deutscher einen hohen Stellenwert ein. Erneut auf die Tagesordnung kam das Thema der sozialen Ungleichheit zunächst im Zuge der Vereinigung von Ost und West, da das Wohlstands- und Produktivitätsgefälle zwischen beiden Landesteilen bis heute anhält. Angesichts der anhaltenden strukturellen Arbeitslosigkeit und den Reformen des Sozialsystems, die mit Kürzungen an öffentlichen Zuwendungen verbunden sind, hat das Thema inzwischen jedoch gesamtdeutsche Bedeutung erhalten. Kritische Stimmen warnen vor einer neuen sozialen Polarisierung in Deutschland und sprechen dabei insbesondere die Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich an, wenngleich diese im internationalen Vergleich weiterhin gering ist.

Noch Anfang der neunziger Jahre konnte kritisch bemerkt werden, dass dem nachhaltigen Rückgang der Geburtenziffern und der Alterung der Bevölkerung nicht die notwendige Aufmerksamkeit zuteil wird. Inzwischen hat sich das geändert. Diskutiert werden insbesondere die Konsequenzen dieses demographischen Wandels für die Bevölkerungsgröße Deutschlands, die Rolle der älteren Bürger, die Zuwanderungspolitik, aber vor allem für der Finanzierung der Sozialsysteme.

Längere Erziehungszeiten, frühes Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit und längere Lebenserwartung strapazieren die staatlichen Rentenkassen und damit den Generationenvertrag, wonach die Renten jeweils von den Erwerbstätigen finanziert werden. Die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre soll finanzielle Lücken stopfen helfen. Während sich die ältere Generation vor allem um den längeren Verbleib im Berufsleben und um Rentenansprüche sorgt, stellt sich die Mehrheit der Jüngeren offenbar pragmatisch und optimistisch den neuen Herausforderungen. Mehr Leistung ist gefragt; von Rebellion ist keine Rede mehr.

Der Schutz von Ehe und Familie hat im Werte- und Rechtssystem der Bundesrepublik einen besonderen Platz. Nur gegen den vehementen Widerstand von CDU/CSU konnte 2001 ein Lebenspartnerschaftsgesetz für gleichgeschlechtliche Paare in Kraft treten; 2006 gab es insgesamt ca. 20.000 eingetragene Lebenspartnerschaften. Die traditionelle Familie, wonach sich die Mutter vorrangig der Familie widmet und der Vater erwerbstätig ist, wird durch steuerliche Vorteile und Geldtransfers (z. B. in der Form von Kindergeld) gefördert. Doch wird immer mehr angezweifelt, ob diese Familienpolitik noch zeitgerecht ist. Die Geburtenziffern sinken kontinuierlich, während die Lebenserwartung ansteigt; der starke Geburtenrückgang, der in den neuen Bundesländern unmittelbar nach der Vereinigung stattgefunden hat, hat sich inzwischen abgeschwächt. Die anhaltend niedrige Kinderzahl pro Familie (im Jahre 2006 waren es 1.33 Kinder pro Frau) hat entscheidend dazu beigetragen, dass in der Familienpolitik langsam ein Paradigmenwechsel stattfindet: Das im September 2006 von der Großen Koalition verabschiedete Elterngeld ermöglicht Vätern und Müttern gleichberechtigt, sich in den ersten Monaten nach der Geburt der Erziehung der Kinder zu widmen. Doch solange die Berufstätigkeit von Müttern teilweise immer noch kritisiert wird und vor allem nicht genügend Kinderkrippenplätze zur Verfügung stehen – das Ziel ist bis 2013 Plätze für 35 Prozent der Kleinkinder unter drei Jahren zu schaffen – werden auch die Geburtsraten nicht steigen: 2009 sank die Geburtenrate auf einen neuen Tiefstand.

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