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Bilder - Einwanderung, Fremdenfeindlichkeit und Multikulturalismus

Der Zusammenbruch des Kommunismus verschärfte die in Deutschland geführte Einwanderungsdebatte, denn die Öffnung des Eisernen Vorhangs löste eine neue, unerwartete Einwanderungswelle aus. Die öffentliche Meinung war tief gespalten darüber, ob Deutschland eine offene, multikulturelle Republik sein sollte oder ein geschlossenes Land, das seinen eigenen nationalen Interessen nachgeht (siehe Band IX, „Zwei deutsche Staaten“, Kapitel 4). Drei verschiedene Migrantenströme kamen während der Vereinigungsjahre auf die Bundesrepublik zu: Erstens suchten über 400 000 Flüchtlinge aus den Krisengebieten des Balkans, Afrikas und Asiens Asyl und lösten den Ruf nach strengeren Aufnahmebestimmungen aus. Zweitens siedelten fast 400 000 deutsche Spätaussiedler aus Osteuropa und der Sowjetunion in die Bundesrepublik über, um der Diskriminierung zu entkommen und ein besseres Leben zu führen. Und drittens kam mehr als eine halbe Million Ostdeutsche über die Grenze in den Westen, was zu Ressentiments gegen deren großzügige Unterstützung führte. Zwischen 1989 und 2002 erhöhte sich die Zahl der Ausländer um 2,3 Millionen und löste bei einigen Einheimischen Überfremdungsängste aus.

Dieser unerwartete Zustrom strapazierte die Kapazität des Wohlfahrtsstaates und führte zu einem deutlichen Anstieg von Fremdenfeindlichkeit und Sozialneid. Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Sportorganisationen und Jugendgruppen riefen mit wenig Erfolg zu Toleranz und gegen Fremdenhass auf. Im Zuge der besorgniserregenden Welle fremdenfeindlicher Gewalt der frühen 1990er Jahre griffen Skinheads im ostdeutschen Rostock unter dem Applaus der Zuschauer Asylbewerberheime an und im westdeutschen Mölln setzten sie zwei Wohnhäuser in Brand, wobei drei türkische Bewohner getötet wurden. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass viele junge Türken sich abgelehnt fühlten und um ihr Leben bangten, obwohl sie schon mehrere Jahrzehnte in der Bundesrepublik lebten. Anstrengungen von Regierungsseite, gegen die jugendliche Intoleranz vorzugehen, zeigten wenig Wirkung, da die Fachleute den Anstieg des Rechtsextremismus nicht erklären konnten und vornehmlich nach materiellen Ursachen suchten. Friedliche Demonstrationen für mehr Kosmopolitismus konnten türkische Einwanderer nicht ausreichend beruhigen und viele lebten in einer Art Schwebezustand, in dem sie sich nur teilweise in die deutsche Gesellschaft integrierten.

Gefangen zwischen der Sorge um internationale Reaktionen und heimische Ressentiments, reagierten die Politiker nur langsam auf die wachsende Krise. Insbesondere die konservative CDU-geführte Regierung achtete mehr auf die verbreitete Fremdenfeindlichkeit als auf die Lage der Einwanderer und suchte nach Wegen, deren Zustrom zu reduzieren. Eine Strategie war das Anheben der Wirtschaftshilfen für die neuen Länder, um mehr Ostdeutsche durch bessere Job-Chancen dazu zu bringen, in ihren Heimatorten zu bleiben (siehe Kapitel 3). Eine weitere Maßnahme war die Verlagerung der Antragstellung in die Herkunftsländer der Spätaussiedler und die Forderung nach handfesten Beweisen für ihre deutsche Herkunft, was zu einer deutlichen Abnahme der Anträge führte. Eine letzte umstrittene Anstrengung war die Neuformulierung des von der Verfassung garantierten Asylrechts (Art. 16 des Grundrechtes). Dieses schloss Asylsuchende aus Staaten, in denen es keine offenen Menschenrechtsverletzungen gab, ebenso aus wie jene, die durch andere EU-Länder oder andere als sicher geltende Drittländer eingereist waren, in die sie zurückkehren konnten. Die Möglichkeit sofortiger Abschiebung, die Verkürzung des Anerkennungsverfahrens und der Wechsel von Geld- zu Sachleistungen schufen ein solches Ausmaß an Abschreckung, dass die Zahl der Asylsuchenden drastisch zurückging.

Nachdem die Einwanderungskrise Mitte der 1990er Jahre abzuebben begann, konzentrierte sich der politische Streit auf die Neuauflage des Staatsbürgerschaftsgesetzes und die Reform der Einwanderungsbestimmungen. Als die rot-grüne Regierung Schröder-Fischer binationalen Einwohnern die Chance auf eine doppelte Staatsbürgerschaft einräumen wollte, trat der CDU-Spitzenpolitiker Roland Koch eine bösartige Unterschriftenkampagne los, die ihm 1999 die Wahl zum Ministerpräsidenten von Hessen sicherte. Von diesem Ergebnis schockiert, schlug das Kabinett eine revidierte Version des Staatsangehörigkeitsrechts vor, die mit der Tradition der ethnischen Herkunft brach, allen in Deutschland geborenen Kindern das Recht gab, im Alter von 23 Jahren deutsche Staatsangehörige zu werden, und die Wartezeit auf Einbürgerung auf einen achtjährigen Aufenthalt in Deutschland senkte. Um die legislative Blockade in der Einwanderungsfrage zu durchbrechen, forderte Bundespräsident Johannes Rau in seiner Berliner Rede im Jahre 2000 in bewegenden Worten mehr Toleranz gegenüber Fremden. In ihrem Bestreben, von den verbreiteten Ressentiments gegen Ausländer weiter zu profitieren, bestanden konservative Kreise auf der Anerkennung einer christlich-deutschen „Leitkultur“ durch Migranten, welche ihre bessere Integration in die einheimische Gesellschaft gewährleisten sollte. Erst nach langen und schwierigen Verhandlungen gelang es der rot-grünen Regierung, ein reformiertes Zuwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen, das den Zustrom kanalisieren und begrenzen wollte.

Bisher gehen die Bemühungen um verbesserte Integration nur langsam voran, was größtenteils an gegenseitigem Missverstehen liegt. Die deutsche Islamkonferenz, ein Diskussionsforum für Muslime und Vertretern des Innenministeriums, stellt ein neues Mittel der Förderung des interkulturellen Dialogs dar. Sie wurde 2006 vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble begründet. Eine Meinungsumfrage aus dem Jahr 2010 unter 5.600 Migranten und gebürtigen Deutschen gab Grund zur Hoffnung. Zwar ließ das Ergebnis darauf schließen, dass es besonders in Bereichen wie der Schulbildung, bei der wesentlich mehr Wert darauf gelegt werden müsse, die Leistung jener Kinder zu fördern, die keine deutschen Muttersprachler sind, noch jede Menge zu tun gibt. Doch die Umfrage zeigte auch, dass Migranten und gebürtige Deutsche ein großes Maß an Respekt füreinander haben. Im Allgemeinen realisiert die deutsche Gesellschaft allmählich ihr Bedürfnis nach Immigration, um ihren Bedarf an Facharbeitern zu decken, während die Migranten lernen, dass die stärkere Anstrengungen hinsichtlich ihrer Integration unternehmen müssen, um ihre Perspektiven zu verbessern.

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