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Bilder - Höhepunkt und Grenzen der Sozialpolitik

Im März 1969 wurde der Sozialdemokrat Gustav Heinemann mit den Stimmen von SPD und FDP zum Bundespräsidenten gewählt. Damit war ein Signal für die potentielle Zusammenarbeit zwischen SPD und FDP in einer sozialliberalen Koalition gesetzt, die sieben Monate später Wirklichkeit wurde. Nach zwanzig Jahren an den Schnittstellen der Macht waren CDU/CSU damit erstmals in die Opposition verbannt. Die mit dem Machtwechsel verbundenen Schlagworte von „Kontinuität und Erneuerung”, „Keine Angst vor Experimenten”, „Fähigkeit zum Wandel” und „Mehr Demokratie wagen“ erweckten Hoffnungen wie Ängste.

Der Regierungspartner der SPD, die Liberalen (FDP), verabschiedeten 1971 ein neues Parteiprogramm, das die bereits vollzogene ideologische Neuorientierung der Partei zu einem „sozialen Liberalismus“ abschloss. Gemeinsam hatten SPD und FDP 1969 ein ambitiöses Programm der inneren Reformen in die Wege geleitet, das von der Bildung, Mitbestimmung, politischen Teilhabe bis zum Familienrecht reichte und größere Chancengleichheit, mehr Freiheit und mehr Demokratie versprach. Ein wichtiger Schwerpunkt lag in der Erweiterung des Systems der sozialen Sicherung.

Die Realität der Regierungsarbeit, die im harten Schlagabtausch mit der oppositionellen CDU/CSU erfolgte, zeigte die Grenzen des Machbaren. Aber auch die immer deutlicher werdenden wirtschaftlichen Probleme stellten die Frage nach der Finanzierbarkeit vieler angestrebter Reformen. Brandts Rücktritt im Jahre 1974 war nur vordergründig mit der Entlarvung eines DDR-Spions als enger persönlicher Berater bedingt; die mühsame Ebene der Reformpolitik hatte seinen Tribut gefordert. Trotzdem konnte der neu gewählte Bundeskanzler Helmut Schmidt bei seiner Antrittsrede durchaus auf die Erfolge seines Vorgängers bei der Ausweitung des Sozialstaates hinweisen, die allerdings bereits unter der Großen Koalition begonnen hatte. Sozialrecht ist in der Bundesrepublik ein eigenständiges Rechtsgebiet; ein altes Anliegen der Sozialdemokraten, soziale Rechte zu vereinheitlichen und in einem Gesetzbuch zusammenzufassen, wurde Wirklichkeit. Der von allen Parteien respektierte sozialpolitische Experte der CDU, Heiner Geißler, brachte das Thema der „neuen“ Armut, die, so Geißler, nicht offen, doch verschämt Millionen Bundesbürger betreffen würde, auf die Tagesordnung der Politik.

Als das Wirtschaftswachstum nachließ (Kapitel 9) und 1975 die Arbeitslosenquote erstmals nahezu 5 Prozent erreichte, war das auch ein Zeichen dafür, dass die Expansion des Sozialstaates an ihre Grenzen gekommen war. Das Wort von der Krise des Sozialstaates machte die Runde, doch scheuten sich Politiker, einschneidende strukturelle Veränderungen vorzunehmen, um ihre Wahlklientel nicht zu verärgern. Von nun an waren Einsparungsbemühungen an der Tagesordnung, die in den achtziger Jahren unter der Regierung von Helmut Kohl zu einer Stabilisierung der sozialen Ausgaben führte. Eine durchgreifende Reform des Systems der sozialen Sicherung wurde von Kommentatoren immer wieder gefordert, der Umsetzungswille gleichzeitig aber auch in Frage gestellt, da sie mit Leistungskürzungen verbunden war und damit sofort den Widerstand organisierter Interessen hervorrief.

Sozialpolitik erwies sich auch im Osten Deutschlands als wichtiger Legitimationsträger des politischen Systems. Das nach der Gründung der DDR eingeführte Prinzip einer staatlich geregelten Einheitsversicherung sicherte eine breite, doch relativ niedrige Grundversicherung für alle. Unter Honeckers Politik der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik wurde das System durch Zusatzversicherungen für Führungskräfte in Partei, Wirtschaft und Gesellschaft, aber vor allem durch Vergünstigungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen entscheidend erweitert. Besonders betroffen waren davon Frauen und Mütter (Kapitel 10). Rentner blieben in einem System, das Erwerbstätigkeit auch sozialpolitisch honorierte, die Verlierer. Gleichzeitig wurde ein weit gefächertes System von Preissubventionen für Lebens- und Transportmittel, die medizinische Versorgung und auch für Wohnungen weiter ausgebaut. Ein adäquates Preis-Leistungsverhältnis erwies sich unter diesen Bedingungen jedoch als unmöglich. Die Folge waren Mängel in der Qualität wie Quantität vieler Güter des Grundbedarfs, die bis zum Ende der DDR an der Tagesordnung blieben und von vielen Bürgern mehr und mehr moniert wurden.

Wie im Westen, war die Finanzierung der Sozialpolitik von der Wirtschaftslage abhängig. Als sich diese in der DDR in den achtziger Jahren weiter verschlechterte, wäre eine kritische Hinterfragung der populären Losung von der Einheit der Wirtschafts- und Sozialpolitik notwendig gewesen, die jedoch nicht stattfand. Der von Honecker auf dem letzten Parteitag der SED im Jahre 1986 vorgetragene Bericht zeigt beispielhaft die Entfremdung zwischen Macht und Öffentlichkeit. Wirtschaftsprobleme wurden weitgehend ignoriert und der von ihm postulierte Sieg des Sozialismus wurde immer weniger glaubwürdig.

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