GHDI logo

Bilder - Bildungsreform

In der Bildungspolitik erwiesen sich die sechziger Jahre für beide deutschen Staaten als ein Jahrzehnt des Wandels. In der Bundesrepublik begann Anfang der sechziger Jahre eine Diskussion über die Notwendigkeit und den Inhalt einer Reform des Bildungssystems, die bis heute anhält. Im westeuropäischen Vergleich lag der Anteil der Abiturienten, Hochschulabsolventen und Lehrkräfte zurück. Angesichts der neuen wirtschaftlichen Herausforderungen, aber auch im Hinblick auf größere soziale Chancengleichheit war ein Ausbau der Hoch- und Fachschulen unumgänglich geworden. Die bereits niedrigen Studiengebühren wurden abgeschafft, neue Universitäten gegründet und die Studentenzahlen explodierten. Dies führte in kurzer Zeit zur Notwendigkeit einer zentralen Vergabe von Studienplätzen in besonders begehrten Fächern. Bedarfsplanung im Hochschulbereich erwies sich als schwierig und der Druck staatlicher finanzieller Nöte und falsche Prognosen hinsichtlich der zu erwartenden Studentenzahlen führten zur totalen Überlastung des Universitätssystems. Aber auch andere Hochschulreformen erwiesen sich als schwierig, da sie althergebrachte Privilegien und Strukturen angriffen und manche Forderungen durch die Studentenrevolte radikalisiert wurden. Zum Beispiel sollte die Macht der Ordinarien durch größere Mitbestimmungsrechte anderer Hochschulgruppen entscheidend zurückgeschraubt werden, doch gelang dies nur in beschränktem Maße.

Bundeskanzler Willy Brandt erklärte in seiner ersten Regierungserklärung Bildung zur Chefsache; der Aufgabenbereich des bisherigen Wissenschaftsministeriums sollte nun auch Bildung mit einbeziehen. Da Bildungsfragen im föderalen System der Bundesrepublik zur Hoheit der Länder gehören, begann damit ein endloses Tauziehen um Kompetenzen. Nur zögernd wurden bestimmte hochschulpolitische Maßnahmen als Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern zusammen getragen. Der Streit um Kompetenzen war jedoch auch ideologisch motiviert, was sich vor allem in der Debatte um die Einführung von Gesamtschulen zeigte, die vom Bund befürwortet, aber vor allem von CDU/CSU-regierten Ländern abgelehnt wurde. Neue Weichenstellungen wurden ausgiebig diskutiert, doch blieb der Wandel angesichts vieler Widerstände hinter den Erwartungen zurück. So überlebte das dreigliedrige Schulsystem – die zur Hauptschule aufgewertete Volksschule, die die mittlere Reife verleihende Realschule und das auf die Universität vorbereitende Gymnasium – in seinen Grundstrukturen unverändert.

Im Vergleich dazu war der bildungspolitische Wandel im Osten wesentlich radikaler. Der in den fünfziger Jahren eingeleitete Umstrukturierungsprozess wurde in den sechziger Jahren weitgehend abgeschlossen. Staatliche Lenkung und Kontrolle wurden in allen Bildungsbereichen ausgebaut und ideologische Indoktrinierung verstärkt. Mit dem Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem wurde die zehnjährige polytechnische Schulbildung für alle Schüler gesetzlich verankert, konnte aber erst in den siebziger Jahren vollständig umgesetzt werden. Die so genannte Dritte Hochschulreform (1967-1972) hob die traditionelle deutsche Hochschulorganisation auf, in dem Fakultäten durch Sektionen ersetzt, die Zentralisierung und Spezialisierung von Hoch- und Fachschulen vorangetrieben und neue Promotions- und Habilitationsordnungen verabschiedet wurden. Organisatorische Reformen gingen Hand in Hand mit einer weiteren Politisierung des Schul- und Wissenschaftsbetriebes. Die Führung der DDR konnte mit Recht auf die Ausweitung der Bildungsmöglichkeiten für alle Bürger hinweisen. Die Verbreiterung der Bildungschancen hatte für das Regime eine wichtige legitimatorische Funktion, wurde aber auch mit der Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit verknüpft, die ab den siebziger Jahren die Einführung eines obligatorischen Wehrunterrichts mit einschloss.

In beiden deutschen Staaten wurden bildungspolitische Reformen durch ökonomische Herausforderungen, internationalen (und deutsch-deutschen) Wettbewerb, einer zumindest zeitweilig vorherrschenden Planungsgläubigkeit sowie politischen Prioritäten entscheidend geprägt. Die zentrale, keine Opposition duldende Bildungspolitik der SED zeigte sich in der gezielten Steuerung der Studentenzahlen und der Durchsetzung eines straffen Bildungssystems, das aber weniger individuelle Wahlmöglichkeiten der Ausbildungsrichtungen duldete. Im Vergleich dazu fungierte der bildungspolitische Pluralismus im Westen sowohl als Reformmotor als auch als Reformbremse. Dort machte die Hochkonjunktur der Bildungspolitik schon ab Mitte der siebziger Jahre einer gewissen Reformmüdigkeit Platz, die in den achtziger Jahren in einen Reformstau mündete. Es dauerte noch ein Jahrzehnt, bis überfällige Reformen endlich mit mehr Entschlossenheit angepackt wurden.

Liste der Bilder