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Philipp Otto Runge, Die Hülsenbeckschen Kinder (1805/06)

In einem Zeitalter, in dem das institutionelle Mäzenatentum zurückging und ein bürgerlicher Kunstmarkt sich zu entwickeln begann, betrachteten viele Künstler die Porträtmalerei als ihren Lebensunterhalt. Für die Künstler der Romantik war ein Porträt jedoch mehr als nur eine lukrative Auftragsarbeit – es stellte eine Möglichkeit dar, das grundlegende Wesen der Seele des Porträtierten festzuhalten und durch bildnerische und symbolische Mittel die spirituelle Verbindung des Menschen mit der Natur sichtbar zu machen. In dieser Hinsicht kann Philipp Otto Runges Gemälde Die Hülsenbeckschen Kinder (1805/06), ein Porträt der Kinder des Geschäftspartners seines Bruders, als eines der herausragenden Werke der Epoche angesehen werden. In dem Gemälde gibt Runge die seine drei jungen Modelle umgebende Welt mit großer naturalistischer Detailgenauigkeit wieder, gleichzeitig gelingt es ihm jedoch, sie subjektiv aus ihrer Perspektive darzustellen. Den Kindern, die gleichzeitig klein und monumental erscheinen, und der liebevoll detaillierten Stadtlandschaft hinter ihnen wird in einer Weise gleiches ästhetisches Gewicht beigemessen, die an Raphaels Madonnen (die Runge sehr bewunderte) erinnert. Ebenfalls bemerkenswert ist das Maß, in dem Runge Gestik und Ausdruck einsetzt, um jedes der Geschwister als einzigartiges Individuum darzustellen. Während diese Sensibilität für die Persönlichkeit der Kinder hauptsächlich Runge Beobachtungsgabe zugeschrieben werden kann, bringt das Gemälde auch größere kulturelle und historische Veränderungen in der Wahrnehmung der frühen Kindheit zum Ausdruck. Mit der Verbreitung der im Zeitalter der Aufklärung entstandenen Idee der Bildung (Bildung im weitesten Sinne der individuellen Charakterbildung) wandten sowohl dem Sturm und Drang als auch der Romantik verpflichtete Philosophen und Schriftsteller – unter ihnen vor allem Karl Philipp Moritz (1756-1793), zu dessen Schülern Alexander von Humboldt, Ludwig Tieck und Wilhelm Wackenroder gehörten – ihre Aufmerksamkeit den Kindern zu, um das komplexe Verhältnis von Rationalität und Gefühl zu verstehen. Innerhalb der romantischen Bevorzugung des „Primitiven“ und „Naiven“ nahmen Kinder einen besonderen Platz ein.

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Philipp Otto Runge, <I>Die Hülsenbeckschen Kinder</i> (1805/06)

© Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz / Hamburger Kunsthalle / Elke Walford
Original: Hamburg, Hamburger Kunsthalle