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Wilhelm Leibl, Bauernjunge (1875)

Bauernjunge datiert aus einer Periode in Leibls Werdegang, die seinem Erreichen eines leicht als Realismus zu identifizierenden Stils voranging. Im Jahr 1869 – nicht lange vor der Konzipierung dieses Gemäldes – war Leibl nach Paris gereist, wo er in Kontakt mit Gustave Courbet (und wahrscheinlich auch Édouard Manet) trat und die Bilder von Frans Hals im Louvre bewunderte. 1870 kehrte Leibl nach München zurück. Bis 1873 hatte er sich aufs bayerische Land zurückgezogen, das ihm die bäuerlichen Motive bot, die seine Kunst über die nächsten zwei Jahrzehnte beherrschten. Das Sujet dieses Gemäldes – ganz zu schweigen von der Pose – ist unspektakulär. Ein scheinbar schüchterner Junge sitzt krumm auf einem Stuhl da, der zu hoch und zu breit für ihn ist; tatsächlich hängt er vielmehr statt zu sitzen. Das Werk beeindruckt den Betrachter nicht durch seine technische Virtuosität, sondern durch seine einfache Schönheit – seine Interpretation eines bäuerlichen Modells, unbeholfen und verletzlich, in komplexen, aber schmucklosen Beige- und Brauntönen. Die Farbtöne sind nicht durch genaue Konturen begrenzt: Stattdessen gehen sie, jedenfalls von der Taille des Jungen abwärts, fließend in den Hintergrund über und lassen lediglich Pinselstriche übrig, um die Form zu definieren. Auf diese Weise gibt der Bauernjunge einem reinen, malerischen Impuls nach und nimmt damit bestimmte Aspekte des deutschen Impressionismus vorweg. Ebenso weist Leibls Werk auf den Impressionismus voraus, indem es auf eine ausdrückliche soziale Stellungnahme verzichtet und vielmehr die äußere Erscheinung einer Person oder eines Gegenstandes erkundet. Wie Leibl erklärte, „Ich male den Menschen, wie er ist, da ist die Seele ohnehin dabei“. (Eberhard Ruhmer, „Leibl als Vorbild“, in Wilhelm Leibl zum 150. Geburtstag, Hg. Götz Czymmek und Christian Lenz, Heidelberg: Braus, 1994, S. 169.)

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Wilhelm Leibl, <i>Bauernjunge</i> (1875)

© Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz
Original: Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin.