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Christian Wilhelm von Dohm, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781)

Christian Wilhelm von Dohm (1751-1820), der sich als preußischer Diplomat und in weiteren administrativen Positionen hervortat, erlangte mit diesem Aufsatz , welcher großen Einfluss auf den sich herausbildenden politischen Prozess der „jüdischen Emanzipation“, sowohl in Deutschland als auch andernorts ausübte, europaweit Ruhm. Ausgehend von den aufklärerischen Standpunkten des universalistischen Naturrechts und religiöser Tolerierung, focht Dohms Aufsatz die damals gängigen anti-jüdischen Vorurteile an, indem er die negativen Lebensbedingungen herausstellte, unter welchen die Juden lange Zeit zu leben gezwungen waren. Dohm argumentierte, dass eine Öffnung der Landwirtschaft und besonders des Handwerks für die Juden den Auswirkungen entgegenarbeiten würde, die ihre Überkonzentration in den Bereichen des Handels und der Finanzen hervorrief. Da er keine negativen Reaktionen in der christlichen Beamtenschaft hervorrufen wollte, warnte Dohm aber davor, umgehend Stellen im Staatsdienst für jüdische Bewerber freizugeben. Obwohl er die Anpassung der Juden an die christliche Gesellschaft vorausahnte, glaubte er dennoch nicht, dass die jüdische Religion gänzlich aussterben würde.

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Über die bürgerliche Verbesserung der Juden

Christian Wilhelm von Dohm


Das grosse und edle Geschäft der Reglerung ist, die ausschliessenden Grundsätze aller dieser verschiednen Gesellschaften so zu mildern, daß sie der grossen Verbindung, die sie alle umfaßt, nicht nachtheilig werden, daß jede dieser Trennungen nur den Wetteifer und die Thätigkeit wecken, nicht Abneigung und Entfernung hervorbringen, und daß sie sich alle in der grossen Harmonie des Staats auflösen. Sie erlaube jeder dieser besondern Verbindungen ihren Stolz, auch sogar ihre nicht schädliche Vorurtheile; aber sie bemühe sich jedem Gliede noch mehr Liebe für den Staat einzuflössen, und sie hat ihre grosse Absicht erreicht, wenn der Edelmann, der Bauer, der Gelehrte, der Handwerker, der Christ und der Jude noch mehr als alles dieses, Bürger ist. So trennete in den grossen Staaten des Alterthums kein Glaube an verschiedne Götter, die Bürger, denen das Vaterland das Liebste von allem war; und so kämpfen itzt am andern Ufer des Weltmeers Catholiken, Episcopalen und Puritaner für den neuen Staat, der sie alle vereinen soll, und für Freiheit und Rechte, die sie alle geniessen wollen. Und so sehn wir auch schon in einigen europäischen Landen die Bürger für das Glück dieses Lebens harmonisch vereint, wenn sie gleich das Glück des künftigen auf verschiednen Wegen suchen. Wenn also auch wirklich in dem Glauben der itzigen Juden einige Grundsätze enthalten seyn sollten, die sie zu sehr in ihre besondre Verbindung einschlössen, und zu ausschliessend von den übrigen Gliedern der grossen bürgerlichen Gesellschaft trennten; so würde dieses doch immer nicht, so lange ihre Gebote nur nicht denen der allgemeinen Sittlichkeit widersprechen, und ungesellige Laster billigen, die Verfolgung derselben rechtfertigen, die nur dienen kann, sie in ihren Gesinnungen noch mehr zu befestigen. Das einzige Geschäft der Regierung hiebey müßte seyn, zuförderst jene Grundsätze, oder vielmehr nur jene Folgerungen aus religiösen Grundsätzen und ihren würklichen Einfluß in die Handlungen, genau zu kennen. Und dann müßte sie sich bemühen, diesen Einstuß dadurch zu schwächen, daß sie die allgemeine Aufklärung der Nation und ihre von der Religion unabhängige Sittlichkeit, und die Verfeinerung ihrer Empfindungen beförderte. Vorzüglich aber würde der Genuß der bürgerlichen Glückseligkeit in einem wohlgeordneten Staat, und der so lange versagten Freiheit, die ungeselligen Religionsgesinnungen verschenchen. Der Jude ist noch mehr Mensch als Jude, und wie wäre es möglich, daß er einen Staat nicht lieben sollte, in dem er ein freyes Eigenthum erwerben, und desselben frey geniessen könnte, wo seine Abgaben nicht grösser als die andrer Vürger wären, und wo auch von ihm Ehre und Achtung erworben werden könnte? Warum sollte er Menschen hassen, die keine kränkende Vorrechte mehr von ihm scheiden, mit denen er gleiche Rechte und gleiche Pflichten hätte? Die Neuheit dieses Glücks, und leider! die Wahrscheinlichkeit, daß man es ihm noch nicht so bald in allen Staaten bewilligen werde; würden es dem Juden nur noch desto kostbarer machen, und schon die Dankbarkeit müßte ihn zum patriotischen Bürger bilden. Et würde das Vaterland mit der Zärtlichkeit eines bisher verkannten und nur nach langer Verbannung in die kindlichen Rechte eingesetzten Sohns ansehen; Diese menschlichen Gefühle würden in seinem Herzen lauter reden, als die sophistische Folgerungen seiner Rabbinen.

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