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Das Toleranzpatent Kaiser Josephs II. für die k.k. Erbländer (1781)

Diese bedeutende Verfügung, formuliert als offizielle Weisung an die verschiedenen Landeshauptmannschaften, betraf nur protestantische Lutheraner und Calvinisten sowie griechisch-orthodoxe Christen in jenen Teilen des österreichischen Staates, in denen ihnen nicht zuvor (wie im Königreich Ungarn) freie Religionsausübung und das Niederlassungsrecht als österreichische Untertanen gewährt worden war. Trotz dieser Einschränkungen und weiterer demütigender Restriktionen, die das Edikt den Nichtkatholiken auferlegte (um den Widerstand der katholischen Kirche zu minimieren), war das Toleranzpatent ein dramatischer und revolutionärer Schritt, es signalisierte einen wichtigen Sieg des Aufklärungsprinzips im Programm des österreichischen „aufgeklärten Absolutismus“. Eine überraschend große Anzahl sich bislang versteckt haltender, insgeheimer Protestanten traten nun ans Licht der Öffentlichkeit, und Konversionen vom Katholizismus wurden so häufig, dass die Behörden Schritte unternahmen, um sie zu unterbinden. Nach Josephs Tod 1790 drangen konservative Kreise auf eine Aufhebung des Patents, doch es blieb nichtsdestotrotz in Kraft.

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Das Toleranzpatent


Liebe Getreue!

Ueberzeuget einerseits von der Schädlichkeit alles Gewissenszwanges und andererseits von dem grossen Nutzen, der für die Religion und den Staat aus einer wahren christlichen Toleranz entspringet, haben Wir Uns bewogen gefunden, den Augsburgischen und Helvetischen Religionsverwandten, dann den nicht unirten Griechen ein ihrer Religion gemässes Privat-Exercitium allenthalben zu gestatten, ohne Rücksicht ob selbes jemals gebräuchlich oder eingeführt gewesen sei oder nicht. Der katholischen Religion allein soll der Vorzug des öffentlichen Religions-Exercitii verbleiben, den beiden protestantischen Religionen aber, sowie der schon bestehenden nicht unirten griechischen aller Orten, wo es nach der hier unten bemerkten Anzahl der Menschen und nach den Facultäten der Inwohner thunlich fällt, und sie Acatholici nicht bereits in Besitz des öffentlichen Religions-Exercitii stehen, das Privat-Exercitium auszuüben erlaubt sein. Insbesondere aber bewilligen Wir:

Erstens: den akatholischen Unterthanen, wo 100 Familien existiren, wenn sie auch nicht in dem Orte des Bethhauses oder Seelsorgers, sondern ein Theil derselben auch einige Stunden entfernt wohnen, ein eigenes Bethhaus nebst einer Schule erbauen zu dürfen, die weiter entfernten aber können sich in das nächste jedoch inner den k. k. Erbländern befindliche Bethhaus, so oft sie wollen, begeben, auch ihre erbländische Geistliche die Glaubensverwandten besuchen und ihnen, auch den Kranken mit dem nöthigen Unterrichte, Seelen- und Leibestroste beistehen, doch nie verhindern, unter schwerster Verantwortung, dass einer von einem oder anderem Kranken anverlangte katholische Geistliche berufen werde.

In Ansehung des Bethhauses befehlen Wir ausdrücklich, dass, wo es nicht schon anders ist, solches kein Geläute, keine Glocken, Thürme, und keinen öffentlichen Eingang von der Gasse, so eine Kirche vorstelle, haben, sonst aber, wie und von welchen Materialien sie es bauen wollen, ihnen freistehen, auch alle Administrirung ihrer Sacramenten und Ausübung des Gottesdienstes sowohl in dem Orte selbst als auch deren Ueberbringung zu den Kranken in den dazu gehörigen Filialen, dann die öffentlichen Begräbnisse mit Begleitung ihres Geistlichen vollkommen erlaubt sein soll.

Zweitens: bleibet denselben unbenommen, ihre eigenen Schulmeister, welche von den Gemeinden zu erhalten sind, zu bestellen, über welche jedoch Unsere dort (hier) ländige Schuldirection, was die Lehrmethode und Ordnung betrifft, die Einsicht zu nehmen hat. Ingleichen bewilligen Wir:

Drittens: den akatholischen Inwohnern eines Orts, wenn selbe ihre Pastoren dotiren und unterhalten, die Auswahl derselben, wenn aber solches die Obrigkeiten auf sich nehmen wollen, hätten sich diese des Juris praesentandi allerdings zu erfreuen, jedoch behalten Wir Uns die Confirmation dergestalten bevor, dass, wo sich protestantische Consistoria befinden, diese Confirmationen durch selbe, und wo keine sind, solche entweder durch die im Teschnischen oder durch die in Hungarn schon bestehende protestantische Consistoria ertheilet werden, insolange bis nicht die Umstände erfordern, in den Ländern eigene Consistoria zu errichten.

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