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Christian Daniel Friedrich Schubart, Artikel aus der „Deutschen Chronik” (20. Mai 1776)

Christian Daniel Friedrich Schubart (1739-91) war ein streitbarer und stürmischer Dichter und Journalist, der das Projekt der Aufklärung aufgrund seiner demokratischen Implikationen befürwortete. Er veröffentlichte seine Deutsche Chronik in Augsburg von 1774 bis 1778, als er vorgeblich wegen Antiklerikalismus zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. In der folgenden Schrift drückt Schubart seine Verachtung für diejenigen deutschen Publizisten aus, die den deutschen Absolutismus tolerierten, und er signalisiert seine Bewunderung für die amerikanischen Aufständischen. Er verweist darauf, dass die Naturrechtslehre und ein sektiererisch protestantisches Empfinden sich im ideologischen Temperament der Rebellen vereinten.

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Ich verdenk’ es den Zeitungsschreibern nicht, wenn sie jetzt ihre Blicke von Europa abkehren, und sie auf Amerika heften. Was liefert uns dann Europa für Stoff zur Unterhaltung? Die Großen verschließen sich ins Kabinett, wie in ein Pandämonium, und niemand weiß, was sie drin ratschlagen. Daher sind unsere Nachrichten von den Europäischen Höfen gemeiniglich so kühl und abgeschmackt, daß sie kaum zum anhören sind. – Unter allen kriechenden Kreaturen des Erdbodens ist der Zeitungsschreiber die kriechendste. Wie er da mit kindischer Bewunderung den Pomp der Großen anstaunt! Wie er in pedantischer Ehrfurcht, wie weiland Magister Sebaldus Nothanker nach dem Schlafrockzipfel eines ausgetrockneten Hofmarschalls schnappt, und ihn demütig küßt! Wie er mit dem Hütlein unterm Arm krumm und sehr gebückt im Vorsaal steht, und dem niesenden Fürsten und Höfling sein Salus entgegen keucht! Wie jedes Hoffest für ihn wichtiger ist, als das Fest der Andacht, von einem frommen Volke dem Herrn geweiht! – Alle unsere Schriften haben das Gepräge unsers sklavischen Jahrhunderts, und die Zeitungen am meisten. Kann man unter diesen Umständen wohl was bessers tun, als wegschlüpfen über unsre entartete Halbkugel, und sehen, was auf der andern Hälfte vorgeht! Dort gibts doch noch Menschen, die’s fühlen, daß ihre Bestimmung nicht Sklaverei sei, die mit edlem Unmute das Joch eines herrschsüchtigen Ministeriums vom Nacken schütteln, und diesen Volkpeinigern bald zeigen werden, daß man ohne sie leben könne. Noch haben die Freien in Amerika keinen ausgezeichneten großen Mann hervorgebracht – ihre Hancocks und Adams sind Menschen von gewöhnlicher Größe; aber bald werden einige ihres Volks wie Riesen aufwachen, und den Briten zeigen, was die gereizte Menschheit zu tun im Stande sei. Ohne Reiz und Anlaß kommt mir die Seele des Menschen mit all ihren Fähigkeiten vor, wie eine Walze, dran Seile aufgerollt sind; je größer der Anlaß ist, je mehr wird von diesen Seilen losgewunden; je größer ist der Mensch! – O ihr Großen der Erde, laßt doch den Menschen sein, was er sein kann; und nur da zeigt eure Gewalt, wo er abarten will! –

Die Provinzialen sind nun soweit hinauf gestimmt, daß sie von keiner Wiedervereinigung mit Engelland was hören wollen. [ . . . ]

Der Charakter der Kolonisten hat ganz was eignes, eine Art von pietistischem Heroismus, wie wann Herrnhut und Sparta in eins zusammen flösse. Die Lieder, womit sie sich stärken, sind alle so mystisch-heroisch, so Zinzendorfisch-tyrtäisch, daß sie an Ton und Einkleidung ihres gleichen nicht haben. Kurz, wenn die Kolonisten ihren Endzweck erreichen; so werden sie einen Staat von ganz sonderbarem Zuschnitt bilden, und mich freuts, wenn einmal unter der Sonne was Neues geschieht.



Quelle: „Deutsche Chronik”, 20. Mai 1776, S. 321-25.

Abgedruckt in Jost Hermand, Hg., Von deutscher Republik 1775-1795. Texte radikaler Demokraten. © Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1968, S. 37-39.

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