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Georg Forster, „Bemerkungen über den neuen [französischen] Gemeingeist”, aus seinen Erinnerungen aus dem Jahre 1790 (1793)

Georg Forster (1754-94) war ein international angesehener Reisegefährte Kapitän Cooks, ein Sprachwissenschaftler, Völkerkundler und Gelehrter. Als bedeutendster unter den deutschen Intellektuellen bekannte er sich vorbehaltlos zur Französischen Revolution, trat für die Mainzer Republik von 1792-93 ein und starb (krankheitsbedingt) am Höhepunkt der Schreckensherrschaft in Paris. Hier rühmt er in einem Text, der die durch die Revolution hervorgerufene nationale Begeisterung veranschaulicht, die friedliche nationale Einheit, die er in ihrer Frühphase beobachtete.

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Bemerkungen über den neuen Gemeingeist

Nirgends zeigte sich eine bessere Gelegenheit, diese Bemerkungen anzustellen, als auf dem Märzfelde zu Paris, im Juli 1790. Hier, wo die Franken, ein freier germanischer Bund, sich jährlich versammelten, um ihren Königen den Willen des souveränen Volkes zu befehlen, hier feierte man jetzt das erste Bundesfest der wiedererrungenen Freiheit. Die völlige Gleichheit war eben jetzt unter den Bürgern durch die Niederreißung aller erblichen Unterschiede wieder hergestellt. Jeder galt nur durch persönliches Verdienst, und über dieses entschied die Stimme des Volkes. Aus den verachteten Hütten des Bauers und des Handwerkers gingen jetzt, im Glanz eigentümlicher Geistesvorzüge, des Vaterlandes Stützen wie neue Sterne hervor, und mancher aufgeblähete Bewohner eines Palastes sank in der Blöße persönlicher Nichtswürdigkeit unerkannt in den Staub; denn das Andenken großer Ahnherrn war wie ein erborgter Schmuck von seinem Haupte gefallen, und der lügenhafte Schimmer fremder Tugenden erloschen. Ein Sturm der Begeisterung hob die ganze Nation zur Höhe des Selbstgefühls. Mensch zu sein, war der schöne Stolz von 25 Millionen, das erste und letzte Ziel ihrer Befreiung. Der Eid der Brudertreue ward am 14. Juli in der nämlichen Stunde von allen Einwohnern eines Reiches geschworen, das eine Fläche von 10 000 Quadratmeilen auf unserer Erdkugel einnimmt; in 1900 Städten und 100 000 Dörfern stiegen an einem Tage und in einer Stunde die feierlichen Zusagen wechselseitiger Liebe und Treue einträchtig zum Himmel. Fünfmalhunderttausend Menschen saßen nur allein auf dem zum Amphitheater umgeschaffenen Märzfelde; Einwohner der Hauptstadt und Abgeordnete aus allen Provinzen, die hier als Stellvertreter ihrer Mitbürger erschienen, um das Bundesfest feiern zu helfen; alle standen zugleich auf von ihren Sitzen, alle streckten den Arm in die Höhe; von Männern, Weibern, Kindern erscholl der schmetternde Ruf: »ich schwöre!« Übermannt von diesem mächtigen Gefühle, das in den Sehnen der Stärksten zitterte, fielen diese verbrüderten Menschen, ohne Rücksicht auf Rang, Alter und Geschlecht, einander in die Arme, und wiederholten ihren unbekannten Nachbarn ihren Eid; die Nationalgarden warfen ihre Waffen weg und küßten sich, und plötzlich erscholl es erweckend und erhebend von allen Seiten: »Hoch lebe die Nation!«

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