GHDI logo


Ein Linksradikaler beurteilt die terroristische Gewalt nach der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback neu (25. April 1977)

Die Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback am 7. April 1977 durch die Rote Armee Fraktion (RAF), die im Zusammenhang mit der zunehmenden Gewalt im „deutschen Herbst“ 1977 stand, veranlasste einen anonymen Verfasser, der mit „ein Mescalero aus Göttingen“ unterzeichnete, dazu, sowohl die moralische Legitimität als auch den praktischen Nutzen des Einsatzes von Gewalt mit dem Ziel, einen politischen Wandel herbeizuführen, neu zu bewerten. Der „Nachruf“ erschien zuerst in der Zeitung des AstA der Universität Göttingen und wurde nachfolgend in zahlreichen Tageszeitungen abgedruckt, jedoch nur teilweise, wodurch seine Aussage verfälscht wurde. Zitiert wurden lediglich die Passagen, in denen von der „klammheimlichen Freude“ über Bubacks Ermordung die Rede ist, nicht jedoch diejenigen, die die terroristische Gewalt kritisieren. 2001 gab sich der Germanistik-Dozent Klaus Hülbrock gegenüber der taz als der Verfasser des „Nachrufs“ zu erkennen und entschuldigte sich beim Sohn des Ermordeten für seine damaligen Äußerungen.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 4


Buback – ein Nachruf


Dies soll nicht unbedingt eine Einschätzung sein oder ein kommentierender Verriss vom Schreibtisch aus, mit päpstlichen Gestus vorgetragen und als „solidarische Kritik“ bezeichnet. Ausgewogenheit, stringente Argumentation, Dialektik und Widerspruch – das ist mir alles piep-egal. Mir ist bei dieser Buback-Geschichte einiges aufgestoßen, diese Rülpser sollen zu Papier gebracht werden, vielleicht tragen sie ein bißchen zu einer öffentlichen Kontroverse bei.

Meine unmittelbare Reaktion, meine „Betroffenheit“ nach dem Abschuß von Buback ist schnell geschildert: ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen. Ich habe diesen Typ oft hetzen hören, ich weiß, daß er bei der Verfolgung, Kriminalisierung, Folterung von Linken eine herausragende Rolle spielte. Wer sich in den letzten Tagen nur einmal genau sein Konterfei angesehen hat, der kann erkennen, welche Züge dieser Rechtsstaat trägt, den er in so hervorragender Weise verkörperte. Und der kennt dann auch schon ein paar Züge von Gesichtern jener aufrechten Demokraten, die jetzt wie ein Mann empört und betroffen aufschreien. Ehrlich, ich bedaure es ein wenig, daß wir dieses Gesicht nun nicht mehr in das kleine rot-schwarze Verbrecheralbum aufnehmen können, das wir nach der Revolution herausgeben werden, um der meistgesuchten und meistgehaßten Vertreter der alten Welt habhaft zu werden und sie zur öffentlichen Vernehmung vorzuführen. Ihn nun nicht mehr – enfant perdu.

Aber das ist ja nun nicht alles gewesen, was in meinem und im Kopf vieler anderer nach diesem Ding herumspukte. So eine richtige Freude, wie etwa bei der Himmelfahrt von Carrero Blanko konnte einfach nicht aufkommen, nicht, daß ich mich von der wirklich gut inszenierten „öffentlichen Empörung und Hysterie“ kirre machen ließ; dieses Spektakel scheint ja wirklich von mal zu mal besser zu funktionieren und das irgendwo im Konzert dieser politischen Eunuchen, die von der Herstellung der „öffentlichen Meinung“ leben (gut leben), sich eine einzige „kritische“ Stimme erheben würde, daran glaubt von uns wohl keiner mehr.

Aber deswegen ist mir dieser hermetisch wirkende Block gleichgeschalteter Medien offizieller Verlautbarungen und Kommentare doch nicht so egal, daß ich mich bei irgendwelchen Aktionen überhaupt nicht mehr um ihn zu kümmern brauchte. Die Wanzenaffäre hat doch gezeigt, daß sich dieser Chor die aufrechten Leute in den Pelz gesetzt hat, die ihn kratzen, die sich nicht mit Meinungen und Kommentaren hinweg tuschieren lassen. Da haben sich immerhin Risse und Brüche in dieser scheinbar festgefügten Legitimationsfassade gezeigt, die wir ausnützen müssen und können, sogar in Bezug auf Stammheim. Da haben wir eine Gelegenheit versäumt, ein öffentliches Gemurmel, ein öffentliches Unbehagen der Nonchalance mit der die Bubacks, Maihofers, Schiess und Benda die dicksten Rechtsbrüche begehen, offensiv für uns und die Gefangenen zu nutzen. Diese Chance ist vorerst vorbei. Jetzt – nach dem Anschlag – ist nicht nur wieder jedes Mittel recht, um die „Terroristenbrut“ zu zerschlagen, sondern die angewandten Mittel sind gar zu gering.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite