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Rudi Dutschke fordert die Enteignung des Springer-Verlags (10. Juli 1967)

Mit Hinweis auf die Hetze der konservativen Presse, die für die Tötung Ohnesorgs verantwortlich gemacht wird, rechtfertigt der charismatische Studentenführer Rudi Dutschke die Proteste der Studenten und fordert die Enteignung des BILD-Zeitungs-Eigentümers, Axel Springer, eines überzeugten Anti-Kommunisten und Kritikers der radikalen Studenten.

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Wir fordern die Enteignung Axel Springers

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DUTSCHKE: Demonstrationen und Proteste sind Vorstufen der Bewußtwerdung von Menschen. Wir müssen immer mehr Menschen bewußtmachen, politisch mobilisieren, das heißt: in das antiautoritäre Lager – das jetzt erst aus nur ein paar tausend Studenten besteht – herüberziehen. Und wir müssen mehr tun als protestieren. Wir müssen zu direkten Aktionen übergehen.

SPIEGEL: Was sind direkte Aktionen?

DUTSCHKE: Da muß ich zuerst die spezifische Berliner Situation schildern.

SPIEGEL: Bitte.

DUTSCHKE: Da haben wir zunächst die Situation der Freien Universität – Massen-Seminare, absackendes Ausbildungsniveau, durch Bürokratie überforderte Professoren, drohende Studienzeitverkürzung und Zwangsexmatrikulation, Restriktionspolitik der Universitätsverwaltung, nicht zuletzt Studiengelderhöhung. Das bewirkte bei vielen Studenten eine stark antiautoritäre psychische Disposition.

SPIEGEL: Aber das bewirkte es nicht allein. Sie und eine ganze Reihe von radikal denkenden Studenten haben diese Grundstimmung populär gemacht.

DUTSCHKE: Ja. Wir haben versucht, durch systematische Aufklärung die Studenten politisch über ihre Situation aufzuklären – durch Informationsveranstaltungen, durch verschiedene Formen von Demonstrationen. Aber hinzu kommt die allgemeine Situation von West-Berlin. Sie ist spätestens seit dem Tod von Benno Ohnesorg klar: kopfloser Senat, entdemokratisierte Polizei – ein Resultat der jahrzehntelangen Ausbildung für den Kalten Krieg. Weiter: Die Berliner Parteien haben, wie in der Bundesrepublik, den Kontakt zur Bevölkerung verloren; Berlin ist eine politisch tote Stadt. Ihre historische Chance, Mittler zwischen Ost und West zu sein, hat sie nicht wahrgenommen.

SPIEGEL: Und die fehlende Politik wollen jetzt Studenten machen?

DUTSCHKE: Warum nicht? Wir Studenten haben eine Chance, die den Massen der Gesellschaft systematisch verweigert wird: Wir können die spezifisch menschliche Verstandeskraft in kritische Vernunft umsetzen. Das bedeutet: Politisierung der Universität – als Ausgangspunkt der Politisierung und damit der Veränderung der Gesellschaft.

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