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Walter Ulbricht: Ein kommunistischer Lebenslauf (1973)

Anlässlich des Todes von Walter Ulbricht analysiert ein westdeutscher Journalist dessen politische Entwicklung, seine entscheidende Rolle in der Nachkriegsgeschichte der DDR sowie sein Verhältnis zur Sowjetunion und seinen Sturz, wobei die entscheidende Rolle des sowjetischen Partners sowohl beim Aufstieg wie beim Fall deutlich wird.

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Ein Staat läutert seinen Organisator. Zum Tode von Walter Ulbricht

Es ist nicht wenig, daß die Oberschüler in beiden Teilen Deutschlands Witze, gut treffende Witze über Walter Ulbricht wissen: Der jetzt gestorbene Achtzigjährige hat nach dem Zweiten Weltkrieg im politischen Bewußtsein der Deutschen eine ebenso tiefe Spur wie Konrad Adenauer hinterlassen. Und dies war ihm möglich, obwohl ihm selbst seine leidenschaftslosen Kritiker alle Eigenschaften zumaßen, die politischen Erfolg normalerweise verhindern: Er war trocken, langweilig, blaß, kontaktarm, phantasielos, unattraktiv.


Die rote Seele Thüringens

Aus kleinen Verhältnissen in ungünstigem Leipziger Milieu stammend, war der fünfzehnjährige Tischlerlehrling schon ein organisierter Klassenkämpfer in der sozialistischen Arbeiterjugend; er besaß feste Anschauungen, die er nicht mehr veränderte und die ihn davor bewahrten, einen geistigen Umbruch, eine totale Infragestellung, eine Metanoia zu erfahren. Von den Möglichkeiten, die in ihm steckten, begann er nach heutigen Maßstäben spät Gebrauch zu machen – erst in der zweiten Hälfte des dritten Lebensjahrzehntes. Zwischen 1920 und 1921 muß Walter Ulbricht die Erkenntnis aufgegangen sein, daß politisches Handeln, wenn es Erfolg haben solle, nicht in Aktion, sondern in Organisation bestehe. Die damals junge Kommunistische Partei Deutschlands gab ihm für diese vielleicht noch unbewußte Maxime ein ideales Erprobungsfeld: Sie ließ ihn den Thüringer Parteibezirk aufbauen. Bald war Ulbricht „die rote Seele Thüringens“, Parteitags-Delegierter, Teilnehmer am IV. Komintern-Weltkongreß in Moskau.

So kannte er Lenin, der ihm auf die Schulter geklopft haben soll, jedenfalls von Angesicht, und er berief sich im hohen Alter gegenüber dessen Erben darauf, die ihn nicht mehr kannten. Von der Zentrale der Kommunistischen Internationale „entdeckt" wurde er 1924 in einer Verbotsperiode der KPD durch Manuilsky, der in Deutschland Talente rekrutierte. Nach dem Besuch der Lenin-Schule in Moskau und nach einer kurzen Lehrzeit in der Organisationsabteilung der Komintern erlangte er die höheren Weihen als anerkannter Org-Spezialist. Der „Genosse Zelle" stellte zusammen mit Wilhelm Pieck die deutsche Sektion der Komintern, die KPD, auf die Organisationsform der Betriebszellen und auf Stalin'sche Kaderprinzipien um.

Wie rigoros er dabei vorging, ist oft beschrieben worden. Ebenso wie er sich aus allen Fraktionskämpfen und Flügelbildungen der Partei als „Zentrist" klug heraushielt. Wenn ihn bei einer innerparteilichen Auseinandersetzung die Abstimmung zu sehr exponiert und festgelegt hätte, wartete er sie notfalls auf der Toilette ab. Wichtig war nur, die Fäden in der Hand zu behalten oder sie rasch wieder in die Hand zu bekommen, einen guten Draht nach Moskau zu haben und stets am besten informiert zu sein. Bald Leiter des wichtigen Berlin-Brandenburger Parteibezirks und kommunistischer Reichstagsabgeordneter – seit 1928 –, besaß er eine vorzügliche Position, obwohl keine Spitzenstellung. Aber daß Thälmann, Pieck, auch Florin, Schubert, Schulte, Scheer im Vordergrund des Parteilebens standen, war ihm nur recht.

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