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Erich von Falkenhayns „Weihnachtsmemorandum” (Dezember 1915)

General Falkenhayn (1861-1922) gibt den Kurs für Deutschlands zentrales, aber unerreichbares Ziel vor, nämlich England derartige Verluste beizubringen, dass es um einen Waffenstillstand ersuchen würde. Die Strategie der wirtschaftlichen Abschnürung und der U-Boot-Krieg brachte die Vereinigten Staaten in den Krieg und besiegelte die Niederlage Deutschlands.

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Frankreich ist militärisch und wirtschaftlich – dies durch dauernde Entziehung der Kohlenfelder im Nordwesten des Landes – bis nahe an die Grenze des Erträglichen geschwächt. Rußlands Wehrmacht ist nicht voll niedergerungen, aber seine Offensivkraft doch so gebrochen, daß sie in annähernd der alten Stärke nicht wieder aufleben kann. Serbiens Heer kann als vernichtet gelten. Italien hat zweifellos eingesehen, daß es auf Verwirklichung seiner Raubgelüste in absehbarer Zeit nicht rechnen kann, und würde deshalb wahrscheinlich froh sein, das Abenteuer auf irgendeine anständige Weise bald liquidieren zu können.

Wenn aus diesen Tatsachen nirgends Folgerungen gezogen wurden, so liegt dies an vielen Erscheinungen, in deren Erörterung man im einzelnen nicht einzutreten braucht. Nur an der hauptsächlichsten darf man nicht vorübergehen. Sie ist der ungeheuerliche Druck, den England noch immer auf seine Verbündeten ausübt. [ . . . ]

Um so notwendiger ist es, daß gleichzeitig alle jene Mittel rücksichtslos zur Anwendung gebracht werden, die geeignet sind, England auf seinem eigensten Gebiet zu schädigen. Es sind dies der Unterseekrieg und die Anbahnung eines politischen und wirtschaftlichen Zusammenschlusses Deutschlands nicht nur mit seinen Verbündeten, sondern auch mit allen noch nicht ganz im Bannkreis Englands gefesselten Staaten. Sich mit diesem Zusammenschluß zu beschäftigen, ist nicht Sache dieser Darlegung. Die Lösung der Aufgabe liegt ausschließlich der politischen Leitung ob.

Der Unterseekrieg dagegen ist ein Kriegsmittel wie jedes andere. Die Gesamtkriegsleitung darf sich der Stellungnahme zu ihm nicht entziehen. [ . . . ]

Ein Vorgehen auf Moskau führt uns ins Uferlose. Für keine dieser Unternehmungen verfügen wir über ausreichende Kräfte. Mithin scheidet auch Rußland als Angriffsobjekt aus. Es bleibt allein Frankreich übrig. [ . . . ]

Hinter dem französischen Abschnitt der Westfront gibt es in Reichweite Ziele, für deren Behauptung die französische Führung gezwungen ist, den letzten Mann einzusetzen. Tut sie es, so werden sich Frankreichs Kräfte verbluten, da es ein Ausweichen nicht gibt, gleichgültig, ob wir das Ziel selbst erreichen oder nicht. Tut sie es nicht und fällt das Ziel in unsere Hände, dann wird die moralische Wirkung in Frankreich ungeheuer sein. Deutschland wird nicht gezwungen sein, sich für die räumlich eng begrenzte Operation so zu verausgaben, daß alle anderen Fronten bedenklich entblößt werden. Es kann mit Zuversicht den an ihnen zu erwartenden Entlastungsunternehmungen entgegensehen, ja hoffen, Kräfte in genügender Zahl zu erübrigen, um den Angriffen mit Gegenstößen begegnen zu können. Denn es steht ihm frei, seine Offensive schnell oder langsam zu führen, sie zeitweise abzubrechen oder sie zu verstärken, wie es seinen Zwecken entspricht.

Die Ziele, von denen hier die Rede ist, sind Belfort und Verdun. Für beide gilt das oben Gesagte. Dennoch verdient Verdun den Vorzug.



Quelle: Erich von Falkenhayn, „Weihnachtsmemorandum“ (Dezember 1915), in Die Oberste Heeresleitung 1914-1916 in ihren wichtigsten Entschließungen. Berlin 1920, S. 176ff.

Abgedruckt in Willibald Gutsche, Herrschaftsmethoden des deutschen Imperialismus 1897/98 bis 1917. Berlin (Ost): Akademie Verlag, 1977, S. 154-59.

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