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Wie Soldaten das Leben im Krieg beschreiben IV: Max Beckmann (1915)

Als Soldat erlebte der Maler Max Beckmann (1884-1950) den Krieg in Frontnähe als Sanitäter. Diese Erfahrung schlug sich in einer Reihe von Fresken nieder, die die Brutalität und Grausamkeit des Krieges veranschaulichen. Hier wird dem Leser ein flüchtiger Blick auf die Schrecken und die surrealen Bilder und Geräusche der industriellen Kriegsführung gewährt.

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V., d. 20. 4. 15.

Wie freue ich mich, daß es Peter wieder besser geht.

Ich bin in voller Arbeit an meinem Fresko. Augenblicklich etwas nervös, so daß ich mich immer von Feinden umringt fühle, was sehr unangenehm ist. Wahrscheinlich liegt gar kein Grund vor.

Hier ist es wieder sehr dramatisch. Gerade bei uns wollen die Engländer durchaus durch. Heute war hier alles alarmiert. Gegen Abend ein wahnsinniger Kanonendonner. Jetzt ist es stiller – aber das ist das Schlimmste, denn nun wird gestürmt.

Vorhin ging ich nochmal hinaus auf den Berg, auf dem eine weiße Villa steht, die zum Lazarett umgewandelt ist. Ich stieg dort aufs Dach und konnte die ganze riesige Front genau überblicken. Kalte, schmale, dunkle, graue Wolken gegen die untergehende Sonne. In der Ferne die Höhenzüge von Ypern, und den ganzen Horizont entlang die schaurigen Granat- und Schrapnellexplosionen.

Unten im Lazarett lagen viele Verwundete der letzten Tage. Einer war gerade hereingebracht und lag im Sterben, mit einer riesigen Kopfbinde, die schon wieder dunkel von Blut, trotzdem sie vor einer halben Stunde erneuert war. Noch ein junges, ganz feines Gesicht. Schrecklich, so am linken Auge wurde das Gesicht auf einmal durchsichtig, wie bei einem zerbrochenen Porzellantopf. Er stöhnte schwer in seiner Bewußtlosigkeit und bewegte die Hände ruhelos hin und her. Er liegt in so einer Art Holzkiste, wie auch die Typhuskranken.

Draußen am offenen Fenster hockten die Leichtverwundeten und sahen der Schlacht zu. Ihre Augen wanderten ruhelos über die riesige Fläche.

Dann ging ich langsam über das grüne Feld nach Hause. An einem alten Bauernhof vorbei mit einem kleinen Teich, in dem sich Kopfweiden spiegelten. Schwere, schwarze, kalte Silhouetten.

Unten bei meiner Villa zogen unter Musik die Bayern in Stellung. Sie waren vor ein paar Stunden schon alarmiert, und immer schon hatte ich von oben die geschlossenen dunklen Reihen dieser Menschen beobachtet, die sich da unter dem Donner ihres Schicksals zusammengefunden hatten. Nun zogen sie los. Und das Geheul der Geschütze mischte sich zum Klang ihrer Instrumente zu einer wilden, wahnsinnigen Musik.

Ich bin noch lange umhergeirrt. Hatte die fiebernste Lust, einfach hinterher zu laufen. Diese feuerspeiende Horizontlinie hat eine scheußliche Anziehungskraft für mich.

Vernünftigerweise war es mir aber dienstlich nicht erlaubt, und so endete denn auch der heutige Tag wie so oft bei Briefeschreiben.

Huh, eben war ein Schuß, daß nicht nur die Fenster, sondern Mauern und Türen zittern. – – – – – –

Mein Friseurfreund ist der Bademeister und Friseur, der als eine Art Kettenhund unsre Villa bewacht, wo er schläft und sich von sieben Uhr ab aufhalten soll. Er tut es aber immer nur nach einem wöchentlichen Anschnauzer ein paar Tage, sonst einer zu schönen Angewohnheit folgend, kommt er um halb zehn. Ein sehr netter Kerl, der nur ein bißchen zu viel spricht. Aber ganz echt und trotz aller Friseurhaftigkeit ganz männlich.



Quelle: Max Beckmann, Briefe im Kriege (1914/15). München, 1993, S. 43-45.

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