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Deutschland und das Ultimatum: Heinrich von Tschirschky und Bögendorff (Wien) an Gottlieb von Jagow (10. Juli 1914)

Dieses Memorandum des deutschen Botschafters in Wien, Heinrich von Tschirschky und Bögendorff (1858-1916), an seinen Vorgesetzten in Berlin, Außenminister Gottlieb von Jagow (1863-1935), belegt das Zögern der österreichisch-ungarischen Regierung, Serbien das Ultimatum zu überreichen. Die Nachricht enthält handschriftliche Randbemerkungen Wilhelms II., die auf dessen flüchtige und unbesonnene Art, Entscheidungen zu treffen, schließen lassen. Der Kaiser setzte ans Ende ein Zitat Friedrichs des Großen, das seine Abneigung gegenüber diplomatischen Verhandlungen verrät und durchblicken lässt, dass er sich hinsichtlich des deutschen Handlungsspielraums keine großen Hoffnungen machte.

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Tel. Nr. 85
Wien, den 10. Juli 1914

Ganz geheim!

Über seinen gestrigen Vortrag bei Sr. M. dem Kaiser Franz Joseph
in Ischl teilt mir Graf Berchtold nachstehendes mit:

S. M. der Kaiser habe mit grosser Ruhe die Sachlage besprochen.

Zunächst habe er seinem lebhaften Dank Ausdruck gegeben für die
Stellungnahme unseres Allergnädigsten Herrn und der kaiserlichen
da S. M. pro Memoria Regierung und geäussert, er sei ganz unserer Ansicht, dass man
etwa 14 Tage alt ist, so jetzt zu einem Entschluss kommen müsse, um den unleidlichen
dauert das sehr lang! Zuständen Serbien gegenüber ein Ende zu machen. Über die
Das ist doch eigentlich Tragweite eines solchen Entschlusses, fügte Graf Berchtold hinzu,
Entschlusses selbst sei sich S. M. völlig klar.
entworfen!
Der Minister hat hierauf dem Kaiser Kenntnis gegeben von den zwei
Modalitäten, die in bezug auf das nächste Vorgehen gegen Serbien
hier in Frage stünden. S. M. hätten gemeint, es liesse sich vielleicht
dieser Gegensatz überbrücken. Im ganzen hätten aber S. M. eher
aber sehr! der Ansicht zugeneigt, dass konkrete Forderungen an Serbien zu
und unzweideutig! stellen sein würden. Er, der Minister, wolle auch die Vorteile eines
solchen Vorgehens nicht verkennen. Es würde damit das Odium
einer Überrumpelung Serbiens, das auf die Monarchie fallen würde,
vermieden und Serbien ins Unrecht gesetzt werden. Auch würde
dieses Vorgehen sowohl Rumänien als auch England eine
wenigstens neutrale Haltung wesentlich erleichtern. Die
dazu haben sie Zeit Formulierung geeigneter Forderungen gegenüber Serbien bildet
genug gehabt gegenwärtig hier die Hauptsorge, und Graf Berchtold sagte, er
würde gern wissen, wie man in Berlin darüber denke. Er meinte,
man könne u. a. verlangen, dass in Belgrad ein Organ der
österreichisch-ungarischen Regierung eingesetzt werde, um von
dort aus die grosserbischen Umtriebe zu überwachen, eventuell
auch die Auflösung von Vereinen und Entlassung einiger
der! kompromittierter Offiziere. Die Frist zur Beantwortung müsse
Hartwig ist todt! möglichst kurz bemessen werden, wohl 48 Stunden. Freilich würde
auch diese kurze Frist genügen, um sich von Belgrad aus in
den Sandschack räumen! dann ist Petersburg Weisungen zu holen. Sollten die Serben alle gestellten
der Krakehl sofort da! den muss Forderungen annehmen, so wäre das eine Lösung, die ihm „sehr
Österreich unbedingt sofort unsympathisch“ wäre, und er sinne noch darüber nach, welche
wiederhaben, um die Einigung Forderungen man stellen könne, die Serbien eine Annahme völlig
Serbiens und Montenegros unmöglich machen würden.
und das Erreichendes Meeres
seitens der Serben zu hindern! Der Minister klagte schliesslich wieder über die Haltung des Grafen
Tisza, die ihm ein energisches Vorgehen gegen Serbien erschwere.
Graf Tisza behaupte, man müsse „gentleman like" vorgehen, das sei
aber, wenn es sich um so wichtige Staatsinteressen handele und
Mördern gegenüber nach dem, besonders einem Gegner wie Serbien gegenüber schwerlich
was vorgefallen ist! Blödsinn! angebracht.

Der Anregung der Kaiserlichen Regierung, schon jetzt die öffentliche

Meinung in England im Wege der Presse gegen Serbien zu stimmen
– worüber Graf Szögyény telegraphiert hat – wird der Minister gern
folgen. Nur müsse dies, seiner Meinung nach, noch vorsichtig
gemacht werden, um Serbien nicht vorzeitig zu alarmieren.
Der Kriegsminister wird morgen auf Urlaub gehen, auch Freiherr
Conrad von Hötzendorf Wien zeitweilig verlassen. Es geschieht
dies, wie Graf Berchtold mir sagte, absichtlich, um jeder
kindisch! Beunruhigung vorzubeugen.

ungefähr wie zur Zeit der Schlesischen Kriege!

„Ich bin gegen die Kriegsräthe und Berathungen, sintemalen die

timidere Parthey allemal die Oberhand hat."

Frd. d. Gr.



Quelle: Heinrich von Tschirschky und Bögendorff (Wien) an Gottlieb von Jagow (10. Juli 1914), in Walther Schücking und Max Montgelas, Hg., Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch. Bände, Berlin, 1922, Bd. 5, S. 29.

Abgedruckt mit Wilhelms Randnotizen in Imanuel Geiss, Julikrise und Kriegsausbruch 1914. 2 Bände. Hannover, 1963-64, Bd. 1, S. 144-45.

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