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Die Nationalisten machen für das Heer mobil: Aufruf des Deutschen Wehrvereins (Februar 1912)

Der Deutsche Wehrverein war gegründet worden, um die Vergrößerung der deutschen Armee zu propagieren. Seine Mitglieder ergriffen stets lautstark das Wort, wenn in den parlamentarischen Debatten der Jahre 1912 und 1913 über eine bedeutende Ausweitung der Streitkräfte debattiert wurde. Diese Ausweitungen jedoch brachten Deutschlands wachsende finanzielle Schwierigkeiten zum Vorschein, da sie nur mittels einer enormen Direktbesteuerung von Kapitalerträgen finanziert werden konnten—eine Maßnahme, der die Konservativen lange Widerstand entgegenbrachten, die nun aber die Unterstützung der Sozialisten im Reichstag genoss.

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Am 28. Januar ist in Berlin der Deutsche Wehrverein gegründet worden. Daß er in weiten Kreisen des deutschen Volkes als nationale Notwendigkeit empfunden wurde, beweist die Tatsache, daß sich bereits über 700 Einzelmitglieder zum Beitritt angemeldet haben und 500 Ortsgruppen im Entstehen begriffen sind. Hierbei hat ohne Zweifel die wachsende Überzeugung mitgewirkt, daß bei der Weltlage die Verstärkung unserer Wehrmacht, besonders des Heeres dringend nötig sei, da sich das Schicksal Deutschlands im nächsten Kriege in erster Linie zu Lande entscheiden wird. Die Folgen eines unglücklichen Krieges sind aber in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Beziehung unübersehbar. Man hatte bisher solchen Möglichkeiten gar keinen Raum gegeben, weil die Nation immer noch die Erfolge des Krieges 1870/71 vor Augen hatte, wobei übersehen wurde, daß sich die weltpolitischen und militärischen Verhältnisse im Laufe der Jahre verschoben haben, und zwar nicht zu Gunsten Deutschlands. Es darf im Interesse der Nation selbst aber nicht geduldet werden, daß sie der Neigung nachgibt, sich über die eigenen Angelegenheiten zu täuschen, was Fichte vor hundert Jahren in seinen Reden an die deutsche Nation «ein feiges Entfliehen vor den eigenen Gedanken» nannte. Diese Gedanken umfassen bei besorgten Vaterlandsfreunden auch das innere Leben und Wesen unseres Volkes. Hier sind Kräfte an der Arbeit, um das völkische Gefüge zu lockern, die kriegerische Tüchtigkeit zu untergraben, uns einer materialistischen Weltanschauung auszuliefern, Nationalstolz und Vaterlandsliebe als überwundene Begriffe hinzustellen – alles dem Traum des Weltfriedens und der internationalen Verbrüderung zu liebe. Dagegen gilt es, sich zu wehren. Deshalb besagen die Satzungen des Deutschen Wehrvereins: «Er erstrebt die Stärkung des vaterländischen Bewußtseins, sowie die Erhaltung eines mannhaften Geistes im deutschen Volke.» Diesem Satze schließt sich der weitere an: «Besonders tritt er dafür ein, die deutsche Wehrmacht innerlich wie zahlenmäßig so stark zu machen, daß sie unbedingt imstande ist, den Schutz des Reiches und dessen Machtstellung in der Welt zu verbürgen.»

Diese unbedingte Sicherheit ist aber nicht mehr vorhanden, wenn man in Rechnung stellt, daß im nächsten Kriege Deutschland von mehreren Seiten bedroht sein kann, was bei seiner ungünstigen geographisch-strategischen Lage dann ein Kämpfen unter außerordentlichen Schwierigkeiten bedeutet. Das Gefühl des Vertrauens, wie es noch vor einigen Jahren bestand, muß wieder hergestellt werden, auch als wirksame Stütze unserer auswärtigen Politik. Es kann aber nur wieder hergestellt werden, ebenso wie der Glaube an unsere Überlegenheit im Auslande, wenn wir schon im Frieden keine Opfer scheuen, keine Anstrengung, um unsere militärische Rüstung zu verstärken. Hierbei ist keine Zeit mehr zu verlieren, zumal in Frankreich demnächst ein Kadergesetz zur Einführung kommt, das wiederum eine Verstärkung seines Heeres bedeutet. Frankreich verfügt aber jetzt schon im Kriegsfalle über mehr ausgebildete Soldaten als Deutschland, trotzdem es 26 Millionen Einwohner weniger zählt.

Wir können schon lange nicht mehr den Ruhm beanspruchen, das «Volk in Waffen» zu sein, weil wir nur 0,94 Prozent der Bevölkerung unter Waffen halten, Frankreich dagegen 1,40 Prozent, und die persönliche Anspannung im Kriegsfalle dort beinahe doppelt so groß ist wie in Deutschland, gemessen an der Bevölkerungsziffer, abgesehen davon, daß jenseits der Vogesen bei den Hauptwaffengattungen teilweise organisatorische Überlegenheit besteht. Über diese Verhältnisse und so manches andere herrscht im deutschen Volke große Unkenntnis, selbst in Kreisen, deren Pflicht es wäre, sich um solche Dinge ernstlich zu kümmern. Und wenn dann auf den Dreibund hingewiesen wurde, so sei bemerkt, daß allein schon die Friedensstärke Deutschlands und Österreich-Ungarns von derjenigen Rußlands und Frankreichs um ungefähr 700 000 Mann überboten wird, im Kriegsfalle sogar um zwei Millionen ausgebildeter Soldaten. Unser Verbündeter Österreich-Ungarn hat in den letzten dreißig Jahren sein Heer kaum nennenswert verstärkt.

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