GHDI logo


Der Schlieffen-Plan (1905)

Alfred von Schlieffen (1833-1913) hatte eine lange und erfolgreiche militärische Laufbahn, er kämpfte als preußischer Offizier sowohl im Krieg gegen Österreich 1866 als auch gegen Frankreich 1870/71. 1891 ersetzte er Helmuth von Moltke (1800-1891) als Chef des Generalstabs des deutschen Heeres. Seine Sorge vor einem Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und Russland, besonders nachdem Frankreich 1904 eine Entente Cordiale mit Großbritannien unterzeichnet hatte, führten zu Schlieffens Ausarbeitung einer militärischen Strategie gegen eine Einkreisung. Der Schlieffen-Plan, wie er genannt wurde, schlug einen überfallartigen Angriff gegen Frankeich vor, der in einer Zangenbewegung über das neutrale Belgien und Holland stattfinden sollte, mit dem Ziel, Frankreichs Verbindung zum Meer abzuschneiden. Der Großteil des deutschen Heeres sollte sich darauf konzentrieren, Frankreich zu schlagen, während ein kleineres Kontingent die erst langsam mobilisierten russischen Truppen im Osten im Zaum halten sollte.

Schlieffen starb ein Jahr vor Ausbruch des 1. Weltkriegs und erlebte daher das letztliche Scheitern seines berühmten Planes nicht mehr. Die Deutschen hatten weder mit dem starken Widerstand der belgischen Armee gerechnet, noch mit dem Eintreffen des britischen Expeditionskorps in Frankreich oder dem schnellen Vorstoß der russischen Armee nach Ostpreußen. Das Resultat war ein Rückzug der deutschen Truppen, der Bau einer Linie von Schützengräben von der Nordsee bis zur schweizerischen Grenze und ein langer Zermürbungskrieg. Schlieffens Nachfolger, Helmuth Johann Ludwig von Moltke (1848-1916) hatte Schlieffens Plan dahingehend verändert, dass er den rechten Flügel im Westen zugunsten einer verstärkten Truppenentsendung in den Osten schwächte. Insofern wurde der ursprüngliche Plan niemals ausgeführt. Schlieffens Theorien, wie er sie in seinem Buch Cannae beschrieben hat, wurden nach dem 1. Weltkrieg zum Standard-Lehrmaterial in Militärakadamien in Europa und den USA und sollen die Grundlage für die deutsche Blitzkrieg-Strategie im 2. Weltkrieg gebildet haben.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 9


Berlin, December 1905

Krieg gegen Frankreich

In einem Kriege gegen Deutschland wird sich Frankreich, besonders solange es auf eine wirksame Unterstützung Rußlands nicht rechnen kann, voraussichtlich zunächst auf die Verteidigung beschränken.

Für diesen Zweck hat es sich schon seit langer Zeit eine zum großen Teil dauernd ausgebaute Stellung vorbereitet, in welcher die großen Festungen Belfort, Epinal, Toul, Verdun die Hauptstützpunkte ausmachen. Diese Stellung kann durch das zahlreiche französische Heer in ausreichender Weise besetzt werden und bietet dem Angriff große Schwierigkeiten.

Dieser wird sich nicht gegen die großen Festungen richten, deren Bezwingung einen großen Belagerungsapparat, viel Zeit und viel Kräfte, und zwar um so mehr erfordert, als eine Einschließung unmöglich und die Belagerung nur von einer Seite erfolgen kann. Der Angreifer wird vielmehr gegen die Zwischenräume vorgehen. Zwei von ihnen (Belfort-Epinal und Toul-Verdun) sind mit Sperrforts angefüllt, die aber von erheblicher Bedeutung nicht sind. Wesentlicher ist es, daß die Zwischenräume schon von Natur starke Stellungen bilden, in denen Abschnitt hinter Abschnitt liegt und die durch die großen Festungen auf ihren Flügeln den Angreifer an einer Umfassung verhindern, gleichzeitig ihn selbst aber mit einer solchen bedrohen.

Die meiste Aussicht auf einen Erfolg bietet ein Angriff auf den rechten Flügel der Moselforts (Fort Ballon de Servance). Die Überwindung der hier vorhandenen Geländeschwierigkeiten ist jedoch nicht genug vorbereitet. Auch wenn dies geschehen, wird man schwerlich einen Feldzug mit einer Belagerung von „Ballon de Servance“ eröffnen. In einer späteren Periode des Krieges kann jedoch die Wegnahme dieses Forts von Bedeutung sein.

Weiter kann mit Aussicht auf Erfolg das hauptsächlich durch Feldbefestigungen geschützte, leicht zu umfassende und zu bombardierende Nancy angegriffen werden. Ist jedoch die Stadt und die dahinter liegende Höhenstellung genommen (Forêt de Haye), so befindet man sich den Befestigungen von Toul gegenüber. Ein Angriff auf Nancy bietet fast nur den Vorteil, daß die Franzosen, um die lothringische Hauptstadt zu retten, sich vielleicht bestimmen lassen werden, aus ihren Befestigungen herauszutreten und sich zur Feldschlacht zu stellen. Sie haben aber dann ihre schützenden Linien so nahe hinter sich, daß ihnen eine Niederlage keinen großen Schaden, dem Sieger keinen großen Erfolg bringt. Es ist ein abgeschlagener Ausfall aus einer Festung, der dem Belagerer wie dem Verteidiger ungefähr dieselben Verluste bereitet, die Lage beider aber unverändert läßt.

Ein Frontalangriff auf die Stellung Belfort—Verdun bietet daher wenig Aussicht auf Erfolg. Einer Umfassung südlich müßte ein siegreicher Feldzug gegen die Schweiz und eine Bezwingung der Juraforts vorausgehen, zeitraubende Unternehmungen, während welcher die Franzosen nicht müßig bleiben würden.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite