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Außenpolitische Ziele des Flottenrüstungsprogramms: Vizeadmiral Eduard von Capelle (Oktober 1911)

Die deutsche Admiralität ging davon aus, dass Deutschland mit einer starken Flotte ein politisches Druckmittel gegenüber Großbritannien in der Hand halte. Dies sollte sich als fatale Fehleinschätzung erweisen, denn die englisch-französische Entente cordiale von 1904 sollte die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg überdauern.

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Ein Wettrüsten hält England weniger aus als wir, weil es sich auf den two keels standard festgelegt hat [es folgt die Aufzählung der Finanzgründe, die dem entgegenstehen]. Aber auch aus politischen Gründen kann England das Wettrüsten, das eine Massierung seiner Streitkräfte in der Nordsee bedingt, auf die Dauer nicht durchführen. Ist Krieg und Wettrüsten für England ausgeschlossen, bleibt ihm nur Verständigung übrig. Nicht wir sind dazu gezwungen, sondern England. Nicht England hat die Trümpfe in der Hand, sondern wir. Wir brauchen nur geduldig zu warten, bis unser jetziges Flottengesetz durchgeführt ist. Bis dahin wird man auch in England die Situation sehr viel klarer übersehen als heute. England muß und wird im Laufe der nächsten Jahre für Deutschland und gegen Frankreich optieren, weil dies im ausgesprochenen englischen Interesse liegt. [Dieser Satz ist von Capelle am Rande zweimal angestrichen. Nachdem die Nachteile eines Bündnisses mit Frankreich für England erläutert worden sind, fährt die Notiz fort]. Ganz anders ein Bündnis mit Deutschland! Ein solches gibt England mit einem Schlage seine Weltmachtstellung zurück [sic!] und vollkommene Sicherheit gegen jeden Angriff zu Wasser und zu Lande. Unser Verhalten: kalte Schulter zeigen und England nicht nachlaufen! England muß und wird uns kommen. Auf welcher Basis kann eine Verständigung zustande kommen: Zunächst politisch: offener, aller Welt bekannter Bündnisantrag. Die Öffentlichkeit soll für beide Nationen eine gewisse Garantie bieten. Militärisch zunächst auf der Basis unseres jetzigen Flottengesetzes. Keine weiteren Erhöhungen desselben! Einer späteren Zukunft muß es überlassen bleiben, ob unser Verhältnis zur übrigen Welt uns gestattet, unser jetziges Flottengesetz pari passu mit England zu verringern. [ . . . ] Die Flottenpolitik ist die Großtat Seiner Majestät Regierung. Wird sie gekrönt durch ein Bündnis mit England, das uns volle politische und militärische Gleichberechtigung sichert, ist ein erster großer Erfolg errungen. Kommt dagegen nur eine societas leonina zustande, so hat die Flottenpolitik Fiasko gemacht und die Geschichte wird ihr historisches Verdikt über dieselbe sprechen.



Quelle: Auszug aus einer Aktennotiz Vizeadmirals Eduard von Capelle, eines Mitarbeiters von Alfred von Tirpitz, vom Oktober 1911, in Walter Hubatsch, Die Ära Tirpitz: Studien zur deutschen Marinepolitik 1890-1918. Göttingen, 1955, S. 92

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