GHDI logo


Die Unvermeidbarkeit des Krieges: General Friedrich von Bernhardi (1912)

General Friedrich von Bernhardis (1849-1930) Schrift enthält eine in den gebildeten, nichtsozialistischen Mittelschichten der deutschen Gesellschaft verbreitete Forderung, Deutschland müsse analog zu seiner wirtschaftlichen Macht mehr Einfluss und Respekt gewährt werden. Bernhardi beschreibt den Krieg als „Weiterführung der Politik mit anderen Mitteln“ und greift damit ein Zitat des preußischen Generalmajors Carl von Clausewitz (1780-1831) auf. Ein Krieg galt zunehmend als unvermeidlich, vor allem, nachdem England und Frankreich sich 1904 auf eine Entente cordiale verständigt hatten.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 2


Betrachten wir [ . . . ] die Stellung des Deutschtums auf der Welt, so müssen wir uns mit blutendem Herzen gestehen, daß die politische Stellung des Deutschen Reiches in keiner Weise dem Kulturwert des deutschen Volkes und der wirtschaftlichen Bedeutung des Deutschtums im Auslande entspricht. [ . . . ]

Befinden wir uns also als Kontinentalmacht in einer wenig vorteilhaften Lage, so ist unsere Weltstellung in dem gleichen Grade gefährdet; ja man kann von einer wirklichen Weltgeltung des Deutschen Reichs als solcher eigentlich noch gar nicht reden. Obwohl die wirtschaftliche Bedeutung des Deutschtums auf der ganzen Erde unter dem Schutze des politischen Ansehens, das uns unsere Einigungskriege errungen hatten, eine sehr bedeutende geworden ist, können wir uns dennoch als Weltmacht nirgends zur Geltung bringen, und nur an wenigen Orten der Erde kann sich das Deutschtum frei und selbständig entwickeln, nämlich in den wenigen Kolonien, die wir seinerzeit mit Englands Einverständnis erworben haben und auch heute noch besitzen.

Dieser Kolonialbesitz aber entspricht in keiner Weise weder unserer Bedeutung als Kulturvolk noch unseren wirtschaftlichen Bedürfnissen, noch der zahlenmäßigen Größe und Entwicklungsfähigkeit unseres Volkes. Bei der Verteilung der politischen Macht, wie sie heute besteht, kann uns noch dazu der Verkehr mit unseren überseeischen Besitzungen jeden Tag unterbunden werden, ohne daß wir uns dagegen zu wehren vermöchten. Wenn wir dagegen die Kolonialreiche Englands, Frankreichs und sogar des kleinen Belgien betrachten, erkennen wir klar, daß wir bei der Verteilung der Erde nicht ohne unsere eigene schwere Schuld zu kurz gekommen sind.
[ . . . ]

Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln und zugleich das wirksamste, wenn auch gefährlichste Mittel der Politik. Ja man muß sogar behaupten, daß die Möglichkeit des Krieges als eines äußersten Mittels eine notwendige Voraussetzung der Politik ist. Man kann sich eine solche ohne die Möglichkeit, sich unter Umständen auf die Waffen zu berufen, überhaupt nicht denken. Es gibt zwischen Staaten, die einen friedlichen Ausgleich entgegengesetzter Interessen nicht zuwege bringen, überhaupt keinen anderen Kraftmesser als den Krieg, und allein die Vorstellung von den nachteiligen Folgen, die ein Krieg zur Folge haben würde, vermag einen Staat zu bewegen, einen Teil seiner wertvollsten Interessen zugunsten eines Gegners preiszugeben. [ . . . ]

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite