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Bürgerliche Gesellschaft und Offiziersstand (1883)

Der übersteigerte Respekt gegenüber Offizieren in der bismarckschen und wilhelminischen Zeit wurde zum wachsenden Ärgernis unter bürgerlichen Kritikern des Militärs. Stiernackige, hohlköpfige Offiziere mit steifem Rückgrat wurden regelmäßig in den Seiten satirischer Zeitschriften wie Kladderadatsch und Simplicissimus aufs Korn genommen, die offen, gar mit Stolz, auf den Couchtischen des Mittelstandes auslagen. Steifheit war komisch und Gelächter die Strafe dafür. Doch der Spott über das arrogante Verhalten der Offiziere bedeutete nicht unbedingt eine grundsätzliche Hinterfragung autoritärer Werte. Wie dieser Kommentator 1883 feststellt, fühlte sich das deutsche Bürgertum durch die von Offizieren genossene Bevorzugung benachteiligt, verschärfte das Problem tendenziell jedoch, indem es Offiziere mit übertriebenen Ehrentiteln anredete, die verdienstreichen Zivilisten häufig vorenthalten wurden.

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Dem Offizier [werden] die weitgehendsten Vorrechte durch das Publicum, durch die gesammte Civilbevölkerung eingeräumt. Es ist schwer zu wählen, wo man den Anfang machen soll, ob bei dem Kellner, der den Offizier zum Unterschiede von den Civilisten gewöhnlich im Plural majestatis „der Herr Hauptmann wünschen oder befehlen“ anredet, ob bei den Schaffnern, die den Offizieren oft unter Benachtheiligung der übrigen Reisenden mit Vorliebe gute Plätze und nicht überfüllte Coupés anweisen, ob bei den höheren Civilbeamten, die den Offizier mit ganz besonderer Höflichkeit behandeln, ob bei den Damen, deren Schwärmerei für den Lieutenant erblich zu sein scheint, ob endlich bei dem Kaufmann, der dem Offizier beharrlich das Prädikat „hochwohlgeboren“ beilegt, während er diese Titulatur häufig selbst höheren Civilbeamten vorenthält. Hat doch einmal ein gebildeter Bürger, der es ganz natürlich fand, daß der jüngste, neunzehnjährige Lieutenant „hochwohlgeboren“ sei, in allem Ernste gefragt, ob man einen Landgerichtsdirector auch wohl schon hochwohlgeboren nennen könne. Beiläufig sei hier bemerkt, daß offiziell und amtlich keineswegs jeder Offizier das Prädikat „hochwohlgeboren“ beanspruchen kann, sondern erst der im Range der Räthe IV. Klasse stehende Stabsoffizier.

In dem Bestreben, die Offiziere auszuzeichnen, wetteifern alle Stände, hoch und niedrig, arm und reich. Die meisten Menschen thun es unbewußt, einige aber haben das Gefühl, daß diese Bevorzugung nicht richtig sei, und nehmen sich auch vor, eine Aenderung eintreten zu lassen, sobald sie aber mit Offizieren in Berührung kommen, pflegen alle guten Vorsätze dahin zu sein. Schon der werdende Offizier, der junge Kadett, erfreut sich dieser besonderen Auszeichnung, indem er vielfach bereits in dem jüngsten Knabenalter von 10 bis 12 Jahren von den Civilisten mit „Sie“ angeredet zu werden pflegt. Einen gleichaltrigen Knaben in Civil so anzureden, würde für lächerlich gehalten werden, der Kadett aber ist etwas ganz Besonderes, er wird ja nach einigen Jahren Offizier und dann wird ihm eine Auszeichnung ohne Grenzen zu Theil.



Quelle: Die Vorrechte der Offiziere im Staate und in der Gesellschaft. 7. Teil. Berlin, 1883, S. 25-26.

Abgedruckt in Jens Flemming, Klaus Saul und Peter-Christian Witt, Hg., Quellen zur Alltagsgeschichte der Deutschen 1871-1914. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1997, S. 76.

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