GHDI logo


Wie Metallarbeiter um 1910 ihre Arbeit empfanden (1912)

Diese Zitate verschiedener Metallarbeiter enthüllen das weite Spektrum an unterschiedlichen Einstellungen gegenüber ihrer Arbeit: Es reichte von Entfremdung über zwiespältige Gefühle bis hin zu Stolz. Aus diesen Aussagen lässt sich zudem der Einfluss marxistischer Produktionstheorien auf die sozialistische Arbeiterschicht herauslesen.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 4


Sozialdemokratisch organisierte Metallarbeiter in Berlin, Solingen und Idar-Oberstein wurden in einer Enquête 1907-11 gefragt: „Macht Ihnen Ihre Arbeit Vergnügen oder haben Sie kein Interesse an derselben?“ – Einige Antworten lauteten (nach dem Semikolon immer die tägliche Arbeitszeit und der durchschnittliche Wochenverdienst):

Ein 20jähriger Schlosser; 10 Std., 20 M.: „Diese Frage unterliegt einer schwankenden Antwort. Vergnügen macht sie insofern, wenn sie fertig ist und auf mich einen wohlgefälligen Eindruck macht. Interesse habe ich daran keins, wenn ich an den Zweck und Nutzen dieses meines Produkts in seiner jetzt beginnenden Funktion denke.“

Ein 21jähriger Maschinenschlosser; 9 Std., 36 M.: „Bei neuen Arbeiten und komplizierten Sachen habe ich Interesse. Massenartikel widern mich an.“

Ein 23jähriger Schlosser; 10 Std., 30 M.: „Wenn ich die offene Wahrheit sagen darf, macht sie mir kein Vergnügen.“

Ein 24jähriger Schlosser; 9 Std., 35 M.: „Diese Frage kann ich mit einem glatten Nein beantworten. Der privatkapitalistische Produktionsprozeß hat mir das Interesse an der Arbeit gründlich ausgetrieben, da ich nur einen Bruchteil des mir von rechtswegen zustehenden wirklichen Wertes meiner Arbeit in der Form von Lohn erhalte.“

Ein 25jähriger Stanzer; 9 Std., 31 M.: „Ich gleiche der Maschine, die durch Kraft angetrieben wird.“

Ein 26jähriger Dreher; 9½ Std., 43 M.: „Interesse habe ich an der Arbeit wohl nur aus dem Bestreben, Geld zu verdienen.“

Ein 27jähriger Messerarbeiter; 10 Std., 30 M.: „Jawohl, ich habe Interesse an derselben.“

Ein 28jähriger Metallschleifer; 9 Std., 36 M.: „Besonderes Interesse habe ich an meiner Arbeit nicht, aber wenn sie fertig ist, zumal Figuren, freue ich mich über deren Aussehen.“

Ein 29jähriger Former; 8 Std., 42 M.: „Meine Arbeit ist im großen und ganzen interessant, und da ich mich nicht übermäßig anstrengen brauche, verrichte ich sie je nach der Art mit oder ohne Vergnügen, erfülle jedoch in beiden Fällen meine Pflicht.“

Ein 30jähriger Eisendreher; 10 Std., 30 M.: „Nein. Ich verrichte meine Arbeit nur mechanisch.“

Ein 31jähriger Schlosser; 10 Std., 25 M.: „Die Not zwingt mich, Interesse zu haben. Wäre dies nicht der Fall, würde ich etwas anderes tun, als in der staub- und rauchgeschwängerten Fabrikhalle zwischen Polacken und anderen geistig zurückgebliebenen Menschen zu frohnden. Ein Gefühl, das ein gesunder Mensch Vergnügen nennt, kann ich meiner Arbeit nicht abgewinnen.“

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite