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Status und Pflichten eines Volksschullehrers: Eine Selbstdarstellung (um 1890)

Die Einführung allgemeiner Volksschulbildung im Laufe des 19. Jahrhunderts trug maßgeblich zum Aufstieg Deutschlands bei. Trotz Spannungen mit der Kirche, notorisch niedrigem Einkommen und Problemen bei der Gründung eigener Familien, waren sich Volksschullehrer ihrer Rolle als Erzieher des deutschen Volkes, als aktive Spitzen der örtlichen bürgerlichen Gesellschaft und nicht zuletzt als patriotische Meinungsmacher, voll bewusst.

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Ebenso unbegreiflich, wie der Widerstand der Geistlichen gegen die Wahl der Lehrer in den Schulvorstand, ist ihr Widerstand gegen die Befreiung der Lehrer von dem niedern Küsterdienst. Seit länger denn zwei Jahrhunderten erhebt sich der Lehrerstand gegen die Übernahme dieser seiner unwürdigen Pflichten, die er meist gar nicht aufgesucht und gewünscht hatte, die er nur verrichten mußte, weil sie zu dem Organistenamt gehörten, und weil dieses wieder vom Lehramte untrennbar war. In der Gegenwart ist nächst der Frage über die Besoldung und die Schulaufsicht keine wichtiger als diese, und obwohl nur ein Teil der Lehrer davon persönlich betroffen wird, ist doch der gesamte deutsche Volksschullehrerstand darüber einig, daß die Standesehre die Aufhebung dieser Verpflichtungen fordere, daß man nicht eher ruhen dürfe, bis sie erreicht sei. [ . . . ]

Es läßt sich nicht leugnen, daß die Art, wie der Kulturkampf beendigt wurde, und wie man die Schule zur Vorkämpferin gegen die Socialdemokratie gewinnen wollte, die Hebung des deutschen Volksschullehrerstandes beeinträchtigte. Das soll uns jedoch nicht abhalten, dankbar und begeistert anzuerkennen, wieviel Wichtiges dafür in den letzten 20 Jahren geschehen ist. [ . . . ]

Anerkennenswert ist zunächst der Fortschritt in der Vorbildung der Lehrer. Mit dem bloß Gedächtnismäßigen wird gründlich gebrochen. Schon in den Präparandenanstalten soll Sorge getragen werden, daß sich die Zöglinge nicht auf eine „äußerliche Herbeischaffung und Aneignung des bei der Aufnahme geforderten Wissensstoffes beschränken“. Darum hier wie auch im Seminar Verminderung der wörtlich zu wissenden religiösen Stücke, dafür aber die Forderung, überall das Verständnis des Erlernten zu prüfen. Die Erweiterung des Geschichtsunterrichts durch die Kenntnis der alten Geschichte, des Rechnens durch Hinzunehmen der Dezimalbrüche und leichter algebraischer Aufgaben, der Naturkunde durch die Chemie war eine Forderung der Zeit, die leider zu lange keine Beachtung gefunden hatte. Der mangelhaften Vorbildung der Seminaristen durch kümmerlichen Unterricht in Privatanstalten oder gar durch Selbstunterricht wird durch staatliche Präparandenanstalten mit mehreren aufsteigenden Klassen aufs beste begegnet. Solche Anstalten, Internate und Externate, finden sich jetzt in Preußen, Bayern, Württemberg, Gotha und in den Reichslanden; in Sachsen sind sie mit den Seminaren verbunden. [ . . . ]

Ein untrüglicher Beweis, daß auch in der Gegenwart die Schulstellen trotz aller Aufbesserung bei einer Vergleichung mit entsprechenden Beamtenstellen zurückstehen, liegt in der Thatsache, daß auch jetzt noch die Präparanden und Seminaristen selten aus andern Lebenskreisen hervorgehen als dem der Kleinbauern, dem Handwerker- und niedern Bürger- und Beamtenstande. Nur 7-8% der Seminaristen sind Lehrersöhne, da der Vater nicht gern sein Kind demselben Lose unterwirft, unter dem er selbst leidet. Bei der Wahl eines Berufes steht die Frage, ob das Amt seinen Mann anständig ernähre, oben an; die bessern Lebenskreise würden sich von dem Lehrerberufe nicht fernhalten, wenn auf jene Frage ein zweifelloses Ja erfolgte.

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