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Die gesellschaftliche Stellung von Schauspielern, Musikern und bildenden Künstlern (1890)

Der Anstieg des Einkommens und Ansehens des deutschen Bürgertums veranlasste seine Mitglieder zu einer Neubewertung von Kunst und Kultur. Wie dieser Kommentar nahelegt, erlangten die deutschen Künstler im Rahmen dieser Entwicklung zunehmendes Ansehen und fanden im Mittelstand eine breitere und großzügigere Klientel als in Adelskreisen. Doch wie sich aus dieser Passage schließen lässt, hing der Zugang von Künstlern zur Elite weiterhin von ihrem Geschlecht, der gewählten Kunstgattung und einer Vielzahl anderer sozialer Umstände ab.

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Der Schauspieler hat im Laufe des Jahrhunderts eine bessere Stellung gewonnen, als er sie besaß. Aber doch nicht der gesamte Stand. Viel hängt von der Kunstanstalt ab, an welcher der Einzelne thätig ist. So stehen auch bei uns, wie in Wien, die Mitglieder des Hoftheaters in erster Reihe. Vor allem die männlichen verkehren zum Teil in der guten mittlern Gesellschaft und sind nicht selten sehr gern gesehen. [ . . . ]

Bei den weiblichen Angehörigen der Hofbühnen ist die Stellung zur Gesellschaft nach den Verhältnissen – ich gebrauche das Wort hier nicht im üblen Sinne – sehr verschieden. Im allgemeinen hegt man, besonders in den strenger denkenden bürgerlichen Häusern, gegen die weiblichen Mitglieder der Bühnen noch immer Mißtrauen.
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Der berühmte Virtuose ist heute fast der einzige, dem sich so ziemlich alle Thüren öffnen. Seine Kunst sichert ihm Einfluß auch auf die Frauen der vornehmsten Stände, und die Frauen sind es, die im Salon die Stellung des Einzelnen bestimmen, der nicht schon von Geburt zu den Gleichberechtigten gehört.

Von den bildenden Künstlern, Baumeistern, Malern und Bildhauern spielen in der Gesellschaft die Bildnismaler, wenn sie Ruf besitzen, die erste Rolle. Einige von ihnen sind vom Hofe sehr ausgezeichnet worden und genossen sogar die Ehre, zu Gesellschaften im kleinern Kreise befohlen zu werden. Das ist dann ebenfalls ein Freibrief für die vornehme Gesellschaft. Bedeutend spielt hier die Eitelkeit der Frauen mit. Genießt ein Maler den Ruf, einen schmeichelnden Pinsel zu besitzen, so wird er natürlich mit besonderer Liebenswürdigkeit behandelt, und fast ebenso verwöhnt, wie ein berühmter Geiger oder Klavierspieler.

Die Beziehungen zwischen Hof und Künstlerwelt sind nicht gerade besonders rege. Bei großen Festen wurden und werden einige Vertreter derselben wohl geladen, aber ein Verkehr, wie er einst in München unter König Maximilian zwischen Künstlern und den höchsten Herrschaften bestand, hat sich bei uns nicht ausgebildet. Viel regere Beziehungen unterhielt der kronprinzliche, dann kaiserliche Hof Friedrichs zu einzelnen Malern und Bildhauern; übt doch die jetzt verwitwete Kaiserin selbst die Kunst.



Quelle: Otto von Leixner, 1888 bis 1891. Soziale Briefe aus Berlin. Mit besonderer Berücksichtigung der sozialdemokratischen Strömungen. Berlin, 1891, S. 172-80.

Abgedruckt in Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hg., Deutsche Sozialgeschichte 1870-1914. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München: C.H. Beck, 1982, S. 344-48.

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