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Eine junge Adelige wird am Hof eingeführt (1882/83)

Der Auszug aus den Erinnerungen einer jungen deutschen Adligen, Marie von Bunsen (1860-1941), schildert ihre Vorstellung am Kaiserhof in Berlin. Pomp und Zeremoniell der Hofbälle sowie das minutiöse Protokoll verfehlten ihren Eindruck auf die Teilnehmer nicht. Trotzdem bleibt unklar, inwiefern solche Prachtentfaltung die monarchischen und aristokratischen Traditionen stützte – Traditionen, die selbst im Zeitalter des Aufstiegs des Bürgertums in der Gesellschaft Eingang fanden, jedoch nicht überall akzeptiert wurden.

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Im folgenden Winter [1882/83] erlebten wir dann die Cour und die Hofbälle. Für die Eltern war es eine mühsame Anstrengung, ich bin ihnen für das Opfer dankbar, so ein Fest am Berliner Hof hatte Glanz, historische Überlieferung und eine gewisse phantastische Schönheit.

Schon Unter den Linden langsames Vorrücken der Wagenreihe, bei jedem Stillstand wohlwollende oder schnoddrige Bemerkungen der dichtgedrängten Menge, aufgeregte berittene Schutzleute. Diplomaten und Würdenträger hatten Vorfahrkarten, kamen außer der Reihe weiter, solche Protektion ärgerte uns andere, deren Kutscher nur die üblichen Karten vorn im Hut eingesteckt trugen. Endlich, endlich durchfuhr man das gewaltige Portal und befand sich im Hof; das Licht ließ das Tiefgrau der alten Mauern, die Schneemassen, die aufgereihten Wachen undeutlich erkennen. Kaum gelangte man von der Stelle, schließlich hielt man vor der strahlend erleuchteten Tür, der Wagenschlag wurde aufgerissen, und unser eigener Diener nahm die Mäntel in Empfang. Garderobenräume wurden erst unter dem neuen Regiment eingeführt. Langsam schritten wir die Treppen hinauf, wärmten uns an den flackernden Kaminen. Es begann die unübersehbare, prachtvolle Flucht der Säle. Seit Jahrhunderten haben sie sich nicht allzusehr verändert, damastbespannte Wände mit Ahnenbildern, schwere, goldene, geschnitzte Sessel aus der Zeit des ersten Königs. An allen Türpfosten zwei wachestehende Gardedukorps. Ausgesuchte reiche Bauernsöhne; wie angegossen umspannte die weiße und rote Uniform die herrlich gewachsenen Gestalten. Dicht an ihnen vorbei rauschten die Damen, Diamanten auf den bloßen Schultern, zogen die Exzellenzen mit ihren Sternen und Ordensbändern, sie standen regungslos monumental im silbernen Adlerhelm, den Säbel gezogen. Jugendlich schlank die Pagen in ihren rotbestickten Röcken, ihrem Spitzengefältel, die hübschesten Selektaner von Adel aus dem Lichterfelder Kadettenhaus wurden ausgesucht. Überall die goldbestickten Uniformen der Offiziere, der hohen Beamten, der Herren vom Hof. Von der Kleidsamkeit, der Schönheit jenes tausendfachen Kerzenlichtes macht die heutige Menschheit sich keinen Begriff, und in diesem strahlenden Geflimmer funkelten all die Diamanten, leuchtete der Farbenschmelz der seidenen und samtenen Kleider. Allerdings war der Umriß der Damen an den Courtagen nicht eigentlich gut, als großer Bausch wurde die zehn Fuß lange, aus zwei bis drei Stoffbahnen bestehende Schleppe über dem Arm getragen. Mit preußischer Korrektheit verteilte man die Gäste, je nach der Kategorie, in verschiedene Säle: die Exzellenzendamen, die übrigen verheirateten Frauen, vorgestellte junge Mädchen und die noch vorzustellenden. Wir letzteren betrugen, da im vergangenen Jahr die Cour ausfiel, zwischen zwanzig und dreißig, das galt für viel, eine Generation später waren an hundert jährlich zur Stelle. Bei uns Unvorgestellten ging es ganz gemütlich zu. Man kannte sich oder lernte sich kennen, alle hatten etwas Courfieber, in einer Ecke, hinter den Säulen, probierte man noch einmal die große Verbeugung, man frug ängstlich, ob der Ausschnitt wirklich nicht zu tief sei? Der uns zuerteilte Kammerherr, Graf Oeynhausen, war freundlich und nett. Als wir uns in Bewegung setzten, ging als erste Prinzessin Ratibor mit einer Cousine, eigentlich hatten die beiden Fräulein Maybach, Töchter des

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