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Friedrich Bülaus Ruf nach einer marktorientierten Lösung des Armutsproblems in Deutschland (1834)

In seiner 1834 verfassten Analyse der Wirtschaftsprobleme in Deutschland sprach sich der Leipziger Staatswissenschaftler Friedrich Bülau (1805-1859) für Freihandelslösungen statt Regierungsinterventionen zur Behebung von Stagnation, Armut und Produktivitätsdefiziten aus. Damit widersprach er insbesondere dem ärmeren Teil der Bevölkerung, der gegen den Abbau staatlicher Wirtschaftskontrollen war.

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Übervölkerung und Nahrungslosigkeit

Malthus nahm an, daß die Masse der Subsistenzmittel der Bevölkerung nur bis zu einem gewissen Punkte und nur in einem untergeordneten Maße, die Bevölkerung selbst aber in einem viel schnelleren Grade einer Vervielfältigung fähig sei, folglich über kurz oder lang, sobald nicht widernatürliche Hindernisse der Bevölkerung entgegenwirken, in jedem Lande und zuletzt auf dem gesamten Erdboden ein Mißverhältnis zwischen diesen beiden Elementen, der Bevölkerung und der Produktion, stattfinden müsse. Nun leugnete er zwar nicht, daß die Natur den traurigen Folgen dieses Gesetzes der Verhältnisse Heilmittel entgegengestellt habe. Aber wie er die Erscheinung selbst mit den schwärzesten Farben malte, so erkannte er auch die Hilfe nur in unheilvollen Momenten. Des Gewitters, des Sturmes bedarf es, um die mit verderblichen Dünsten geschwängerte Luft zu reinigen. Not, Elend, Laster und Krankheiten wirken der allzu raschen Zunahme der Bevölkerung entgegen. Dem Übermaß hilft die Natur durch pestartige Seuchen, durch verheerende Kriege, durch Erdbeben, Überschwemmungen, Orkane, kurz durch furchtbare Umwälzungen, die in ihrem Charakter schrecklich und nur in ihren Folgen wohltätig sind, ab. Der Natur diese traurige Mühe zu ersparen und auf friedlicherem Wege das von ihr gewünschte Gleichgewicht zu erhalten, dazu schlug Malthus wohl Mittel vor, aber Mittel, von denen er wohl selbst kaum eine ausreichende Wirkung erwartete und gegen deren Rechtlichkeit und Zweckmäßigkeit triftige Einwendungen nicht fern liegen. Er wollte eine moralische Kraft dem physischen Triebe entgegensetzen, die Vernunft und den Egoismus zu dem freiwilligen Entschlusse vereinigen, einer unbedachten Vermehrung ihres Geschlechts zu entsagen. Gegen die Ehen der Armen waren seine Vorschläge gerichtet. Zwar — und hier sprach der Brite — sollte keinem die Eingehung einer Ehe versagt sein, aber der Schließung jedes ehelichen Bundes eine feierliche Darstellung der bedenklichen Aussicht, die sich für die Sprößlinge leichtsinniger Ehen eröffne, und die Erklärung vorausgehen, daß die aus einem solchen, nach vorgängiger Warnung eingegangenen Bündnisse erzeugten Kinder keinen Anspruch auf eine Unterstützung von seiten des Staats im Falle ihrer Verarmung erheben dürften. Eine Warnung, die leichtsinnige Personen nicht abschrecken wird. Hielte sie auch, in einem ernsten Augenblicke eindringlicher wirkend, von dem ehelichen Bündnisse ab, schwerlich würden die Liebenden in den unbedachten Stunden der Versuchung jenes Momentes gedenken, und die Folge wäre dann, daß man das geordnete und ebendeshalb immer noch am mindesten schädliche Verhältnis der Ehe nur verhindert hätte, um die gleichen Folgen zu größerem Nachteile aus einer unehelichen Verbindung hervorgehen zu sehen. Wer ferner sieht vor die unerwarteten Schläge des Schicksals? Mit leidlichen Aussichten trat das junge Ehepaar an den Altar. Kenntnis, Fleiß und Gesundheit verbürgten ihm die Mittel, ein mäßiges Glück zu gründen. Eine ungünstige Konjunktur der Zeitumstände raubt die Gelegenheit, eine langwierige Krankheit die Kraft zur Arbeit, und der Verarmung preisgegeben sehen sie ihre Kinder von den harten Folgen eines Schrittes betroffen, den sie in gutem Glauben gewagt hatten! Was soll endlich eine Drohung, deren Verwirklichung moralisch unmöglich ist? Solange noch ein Gefühl für Humanität in der Menschenbrust lebt, solange man noch selbst dem verschuldeten, geschweige denn dem unverschuldeten Unglück Mitleid schenkt und hilft, wo man helfen kann, werden die unglücklichen Kinder der Natur nicht von der Menschheit ausgestoßen, verlassen, dem Hungertode preisgegeben, werden die unglücklichen Geschöpfe fremden Leichtsinns oder fremden Unglücks nicht für die Fehler oder das Mißgeschick ihrer Eltern bestraft werden. Sind die Kinder einmal da, so kann sie der Staat auch nicht verhungern lassen. [ . . . ]

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