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August Becker: Auszüge aus Die Pfalz und die Pfälzer (1858)

In diesem Auszug aus Die Pfalz und die Pfälzer (1858) schildert der Romanautor und Journalist August Becker (1826-1891) geografische und soziokulturelle Eigenheiten der Pfalz. Die Region, die in der Französischen Revolution republikanisches Gedankengut aufgenommen hatte, fiel nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft 1816 an Bayern. Im Gegensatz zu Riehls konservativer Nationalgesinnung zeigt Beckers Darstellung Sympathien für einen liberalen Nationalismus, wie ihn viele Pfälzer vertraten.

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Und nun zu den Bewohnern des schönen Landes selbst, das in seiner Milde den Übergang zu den südlicheren Gegenden bildet. Wie das Land, so sein Bewohner, der ja, wenn man will, nur der vergeistigte Ausdruck des Landcharakters ist. In der lustigen, heitern, reichen Pfalz können auch nur heitere, fröhliche, reichbegabte Menschen wohnen. Schon was den Körperbau betrifft, kann der rheinfränkische Schlag der Pfälzer als einer der bevorzugtesten gelten, schlanke, — gerade und doch noch kräftige Figuren herrschen durchgängig vor. Die Pfälzer sind wohl im Durchschnitt die an Gestalt größten Süddeutschen, — sie liefern das ansehnlichste Kontingent zu den bayerischen Kürassieren. Schon das flotte Äußere zeugt von Kraft, aber noch mehr von Gewandtheit und natürlichem Anstand und spricht die Erregbarkeit, die Rührigkeit und Gewecktheit des Geistes aus, welche diesen Stamm auszeichnen. Die Tätigkeit des Volkes, der ausdauernde Fleiß, das Geschick und die Gewandtheit, gepaart mit natürlicher Intelligenz und Geistesfrische, sind längst anerkannt. Und jener preußische Offizier, welcher während der Kriegsjahre von 1793 und 94 die Briefe über die rheinische Pfalz geschrieben, hat sicherlich recht, wenn er, erstaunt über die „Sintflut von Bemerkungen des kultivierten Verstandes" bei einem pfälzischen Bauer, meint, in einem ganzen Jahr bringe ein norddeutscher Bauer nicht so viel Gedanken und Worte zu Tage, als jener Bauer in einer halben Stunde. — Bei dem Pfälzer gesellt sich der Liebe zum Besitz Unternehmungsgeist bei, der besonders großen Reinlichkeits- und Ordnungsliebe auch der Sinn für heiteres gesellschaftliches Zusammenleben und für die Freuden der Zeit. Pfälzische Gastfreundlichkeit ist fast sprichwörtlich geworden und die rührendsten Beispiele könnten ihre Ausdehnung beweisen. Bei aller Freiheitsliebe und aller aufbrausenden Hitze hat der Pfälzer auch in den kritischen Momenten die Achtung vor dem Gesetze, welche dem pfälzischen Volke eigen ist, nicht außer acht gelassen; bei aller Toleranz in religiösen Dingen denkt er streng in moralischen und hat sich durch alle Stürme der Vergangenheit und der Gegenwart noch immer eine gewisse Tüchtigkeit der Gesinnung, eine feste Selbständigkeit bewahrt, die von der gerühmten Naturkraft anderer Stämme gar merklich absticht. — Zu allen diesen guten Eigenschaften gesellen sich freilich auch eine Reihe weniger lobenswerte. Die Liebe zum Besitz wirkt manchmal allzumächtig, — das Selbstgefühl ist oft stärker ausgebildet als gerade zur Bescheidenheit notwendig ist, — die Gescheitheit legt sich oft zu breit „an den Laden", und daraus folgt dann, daß die an und für sich nicht tadelnswerte Mundfertigkeit in „Krischerei" übergeht, die mit dem „großen Maul" über alles herfällt, alles besser weiß, aller besser macht und alles zu Boden „kreischt", was nicht in dem Kopfe dieses kleinen Herrgotts von einem Krischer entstanden ist. Der leicht erregbare Charakter des Volkes überstürzt sich dann nur zu leicht und kennt das rechte Maß nicht mehr, bis er vor den Konsequenzen seines Tun endlich selbst zurückbebt und nicht selten wieder in die ganz entgegengesetzte Bahn einlenkt, ehe er zur Besinnung kommt.

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