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„Acht Stunden Arbeit" (1928)


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Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Erholung, acht Stunden Schlaf, ... süßer Dreiklang des Lebens!

Sommermorgen! Die Sonne scheint mir direkt ins Gesicht. Ich erwache, springe auf, ans Fenster. Es ist ein richtiger Sommermorgen, eine Pracht, unten im Garten duften die Blumen, weiter drüben wogen die goldgelben Kornfelder, die Vögel singen ihre Morgenlieder. Es ist so feierlich, so still. Wie im Traum stehe ich da. Auf einmal höre ich eine Stimme: „Willst du heute nicht arbeiten?“ Was, arbeiten in diesen dumpfen Fabrikräumen, dieser Tag ist wirklich zu schade dazu. Für dich nicht, du Proletenmädel, gehe nur hinein in die stinkenden Fabrikräume und schufte, damit die Herren Unternehmer ihre Sommer sonstwo an der See verbringen können. Ich nehme mein Frühstück, mache mich auf den Weg, hier treffe ich all meine Leidensgefährten. Sie jagen alle dahin, mir kommt es vor, als fliehen sie vor der Sommerpracht. Kaum bin ich im Fabriksaal angelangt, heult schon die Sirene, daß es mir durch Leib und Seele fährt. Nun stehe ich am Webstuhl, bei diesem langweiligen Geklappere neun Stunden lang. Wenn es nur erst mal Mittag wäre. Zur Abwechslung gehe ich mal hinaus auf den Abort, schaue aus dem Gitter wie eine Gefangene den tanzenden Sonnenstrahlen zu. Doch o weh, als ich wieder hereinkomme, war ich drei Minuten zu lange draußen und es gibt zur Abwechslung mal Krach dafür von unserem Herrn Meister, der den ganzen Tag vor der Türe steht und sich höchstwahrscheinlich als Abortdirektor ausbilden will. Endlich ist es Mittag, schnell wird heimgejagt, gegessen und schnell wieder fort, und wieder heult die Sirene, und wieder stehe ich am Webstuhl, diesen langen Nachmittag. Es ist eine Hitze. Die Gedanken sind schon ganz verwirrt und flattern weit umher. Wenn doch am Sonntag mal so schönes Wetter wäre! Ein Sonntag ist auch viel zu wenig und neun Stunden täglich im Betrieb zu viel. Ja, acht Stunden Arbeit, acht Stunden Erholung, acht Stunden Schlaf, süßer Dreiklang des Lebens. Wenn wir den Achtstundentag erst mal richtig hätten. Das ist jedoch noch zuviel für die Frau, die in den meisten Fällen noch ihre Wirtschaft machen muß. So vergeht Tag für Tag, Jahr für Jahr, die schönsten Stunden unsres Lebens gehen dahin, man weiß nicht, wo sie geblieben sind. Wieder schaue ich an die Uhr, es ist 4 Uhr, na, noch eine Stunde und diese Qual ist wieder mal vorbei. Endlich ist Feierabend! Ich stürze hinaus, doch ich freue mich über nichts mehr, bin zu abgespannt.





Quelle: „Mein Arbeitstag - mein Wochenende" Arbeiterinnen berichten von ihrem Alltag 1928. Neu herausgegeben von Alf Luedtke. Hamburg: Ergebnisse Verlag GmbH, 1991, S. 17-18.

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