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„Radikale Protestwahlen" (15. September 1930)


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Radikale Protestwahlen

Dr. F.K. - Nichts wäre falscher, als das in seiner Tendenz vorausgesehene, in den Ausmaßen des Pendelschlages überraschende und erschütternde Ergebnis des 14. September zu beschönigen. Die Devise „Macht mir den rechten Flügel stark“ hat ungeahnten Beifall gefunden. Der Wahlerfolg der Nationalsozialisten ist, wir stellen es mit kühler Sachlichkeit fest, eine Weltsensation. Von den Regierungsparteien hat allein das Zentrum gleichfalls einen erheblichen Zuwachs erhalten. Darüber kann aber kein Zweifel sein, daß sein Versuch, im Reich mit der gemäßigten bürgerlichen Rechten zu regieren, trotz dieses Erfolges gescheitert ist. Zwar hat die Liste des Reichsernährungsministers Schiele einen kleinen Erfolg erzielt. Aber die Konservative Volkspartei konnte in den Wahlkreisen nicht einen einzigen Abgeordneten durchbringen. Die sozialistischen Gruppen sind trotz empfindlicher Einbußen der Sozialdemokratie nicht schwächer, sondern stärker als im Reichstag von 1928. Kommunisten und Sozialdemokraten haben zwölf Mandate mehr. Es sind radikale Protestwahlen, deren Ergebnis wir vor uns haben. Sie rühren an die Wurzeln des Verhältniswahlrechts und der Wahlberechtigung der Zwanzigjährigen: sie sind ein Fanal der wirtschaftlichen und Geisteskrise, in der sich unser Volk befindet, ein Aufbäumen gegen den Staat, der es nicht verstanden hat, seiner Geschäftsführung Vertrauen und diskussionslose Achtung zu verschaffen.

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Heute helfen keine wehleidigen Betrachtungen über die Vergangenheit mehr. Es ist sinnlos geworden, wenn auch politisch nicht ohne Belang, zu fragen, wer diese Reichstagsauflösung, die in der „DAZ“ seinerzeit als ein Unglück bezeichnet wurde, verursacht hat, und ob seine Gründe dafür zureichend waren. Wir befinden uns in einem Wellental der nationalen Geschichte. Es muß durchschritten werden. Es hilft nichts, die Schuld nur bei den andern zu suchen. Jede einzelne Partei ist mitverantwortlich. Der Umbau des Staates und die Reform der öffentlichen Wirtschaft ist nicht mehr aufzuschieben. Schaffen wir eine möglichst breite Front für diese Aufgaben. Beachten wir die Legalität. Aber im klaren Bewußtsein der Erfahrung, daß sich noch nie ein Volk durch die „Gesetzlichkeit“ zugrunde richten ließ. Ungeheure Schwierigkeiten ergeben sich auch für die Außenpolitik. Sie waren unvermeidlich, da man die Zügel so lange am Boden schleifen ließ. Das Ausland, insbesondere Frankreich, muß erkennen, daß es den Bogen überspannt hat. Wer immer der kommenden Regierung angehören wird: es ist ausgeschlossen, daß Abenteuer zu erwarten sind. Selbst die Nationalsozialisten würden ihren großen Sieg durch unüberlegte außenpolitische Experimente nicht aufs Spiel setzten. Das Volk und das Land sind im Kern gesund. Die Fieberkurve der Wahl zeigt einen vorübergehenden Zustand an, in dem das Gleichgewicht verlorengegangen ist. Es wird wieder hergestellt werden.

Die Stunde der Reform der Verfassung hat geschlagen.





Quelle: „Radikale Protestwahlen“, Deutsche Allgemeine Zeitung, 15. September 1930.

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