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Aktionsprogramm der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (1919)

Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) entstand nachdem ein Teil des linken Flügels der SPD sich 1917 abspaltete, um eine radikalere Partei zu gründen. Die USPD verfolgte einen Mittelweg zwischen marxistischem Revisionismus und Bolschewismus nach sowjetischem Vorbild. Im Frühjahr 1918 stieg die Parteimitgliedschaft auf über 120.000. Nach dem Ausbruch der Novemberrevolution 1918 einigten sich USPD und SPD über die Repräsentation der USPD im Rat der Volksbeauftragten, in dem sie die Hälfte der Abgeordneten stellte. Diese Koalition war jedoch nur von kurzer Dauer. Im Dezember 1918 traten die USPD-Abgeordneten aus Protest gegen die von der SPD ergriffenen Maßnahmen gegen einen Militäraufstand vom Rat der Volksbeauftragten zurück. Gleichzeitig spaltete sich der von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht geführte Spartakusbund von der USPD, um sich mit anderen linksradikalen Gruppierungen zur Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zusammenzuschließen. Bei den ersten Wahlen zur Nationalversammlung im Januar 1919 erhielt die USPD 7,6% der Stimmen. Bis zum Jahr 1922 war ein großer Teil des rechten Parteiflügels jedoch zur SPD zurückgekehrt während ein anderer, erheblicher Teil der KPD beitrat. Die USPD bestand als kleine Splitterpartei der Linken bis 1931 fort.

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Leipzig, 5. Dezember 1919

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Die proletarische Revolution hat zwei große Epochen: den Kampf um die Eroberung der politischen Macht und ihre Behauptung für die Übergangszeit vom Kapitalismus zum Sozialismus.

Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein, weil alle andern Klassen, trotz der Interessengegensätze untereinander, auf dem Boden des Privateigentums an Produktionsmitteln stehen und die Erhaltung der Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft zum gemeinsamen Ziel haben.

Die Interessen der Arbeiterklasse sind in allen Ländern gleich. [ . . . ] Die Befreiung der Arbeiterklasse erfordert also den internationalen Zusammenschluß und den gemeinsamen Kampf der Arbeiter der ganzen Welt. [ . . . ]

Die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat leitet die Befreiung der Arbeiterklasse ein. Zur Durchführung dieses Kampfes bedarf die Arbeiterklasse der Unabhängigen Sozialdemokratie, die rückhaltlos auf dem Boden des revolutionären Sozialismus steht, der Gewerkschaften, die sich zum unverfälschten Klassenkampf bekennen und zu Kampforganisationen der sozialen Revolution umzugestalten sind, und des revolutionären Rätesystems, das die Arbeiter zum revolutionären Handeln zusammenfaßt.

Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei steht auf dem Boden des Rätesystems. Sie unterstützt alle Bestrebungen, die Räteorganisation schon vor der Eroberung der politischen Macht als proletarische Kampforganisation für den Sozialismus auszubauen und in ihr alle Hand- und Kopfarbeiter zusammenzufassen und sie zu schulen für die Diktatur des Proletariats.

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Zur Überwindung des Kapitalismus und zur Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaft sind folgende Maßnahmen zu treffen:

1. Die Auflösung jedes konterrevolutionären Söldnerheeres, Auflösung aller militärischen Zivil- und Polizeiformationen, Einwohnerwehren in Stadt und Land, Technischen Nothilfe, Polizeitruppen, Entwaffnung des Bürgertums und der Grundbesitzer. Errichtung einer revolutionären Wehr.

2. Umwandlung des Privateigentums an Produktionsmitteln in gesellschaftliches Eigentum. [ . . . ]

3. Großgrundbesitz und große Forste sind sofort in gesellschaftliches Eigentum zu überführen. [ . . . ]

4. In den Städten und vorwiegend industriellen Gemeinden ist das Privateigentum an Grund und Boden in Gemeindeeigentum zu überführen; ausreichende Wohnungen sind von den Gemeinden herzustellen.

5. Planmäßige Regelung des Ernährungswesens.

6. Vergesellschaftung des gesamten öffentlichen Gesundheitswesens.

7. Vergesellschaftung aller öffentlichen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen. [ . . . ]

8. Erklärung der Religion zur Privatsache. Völlige Trennung von Staat und Kirche. [ . . . ]

10. Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlicher und privatrechtlicher Beziehung dem Manne gegenüber benachteiligen.

11. Einführung eines öffentlich-rechtlichen Monopols für das Anzeigen- und Werbewesen und Übertragung an die Kommunalverbände.

12. Umgestaltung des gesamten öffentlichen Rechtswesens nach sozialistischen Grundsätzen.

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14. Herstellung freundschaftlicher Beziehungen zu allen Völkern. Sofortige Anbahnung von Bündnissen mit sozialistischen Republiken.

Die Diktatur des Proletariats ist ein revolutionäres Mittel zur Beseitigung aller Klassen und Aufhebung jeder Klassenherrschaft, zur Erringung der sozialistischen Demokratie. Mit der Sicherung der sozialistischen Gesellschaft hört die Diktatur des Proletariats auf, und die sozialistische Demokratie kommt zur vollen Entfaltung.

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Die geschichtliche Aufgabe der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei ist es, der Arbeiterbewegung Inhalt, Richtung und Ziel zu geben und dem revolutionären Proletariat in seinem Kampfe für den Sozialismus Führerin und Bannerträgerin zu sein. Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei ist der Überzeugung, daß durch die Zusammenfassung der proletarischen Massen, die sie erstrebt, der vollständige und dauernde Sieg des Proletariats beschleunigt und gesichert wird. In diesem Sinne erstrebt die Unabhängige Sozialdemokratische Partei auch die Schaffung einer revolutionären aktionsfähigen Internationale der Arbeiter aller Länder. Das Bekenntnis in Wort und Tat zu den Grundsätzen und Forderungen dieses Programms ist die Voraussetzung zur Einigung der Arbeiterklasse. Nur durch die proletarische Revolution kann der Kapitalismus überwunden, der Sozialismus verwirklicht und damit die Befreiung der Arbeiterklasse durchgeführt werden.

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Quelle: Aktionsprogramm der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (1919), in Deutsche Parteiprogramme 1861-1954, herausgegeben von Dr. Wolfgang Treue, Quellensammlung zur Kulturgeschichte, Band 3. Göttingen, Frankfurt, Berlin: Musterschmidt Wissenschaftlicher Verlag, 1955, S. 94-97.

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