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Verordnung zum Schutze der Republik (1922)


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235. Sitzung.

Sonnabend den 24. Juni 1922.

Die Sitzung wird um 8 Uhr 4 Minuten durch den Präsidenten Löbe eröffnet.

Präsident: Die Sitzung ist eröffnet.

Als einzigen Gegenstand der Tagesordnung haben wir die

Entgegennahme einer Erklärung der Reichsregierung.

Zu dieser Erklärung hat das Wort der Herr Reichskanzler.

Dr. Wirth, Reichskanzler: Meine Damen und Herren! Die Reichsregierung richtet an das deutsche Volk folgenden Aufruf und Mahnruf:

Der Mord an dem Reichsminister Dr. Rathenau hat die schweren Gefahren enthüllt, denen Deutschland durch innerpolitische Gärungen ausgesetzt ist. Die Mahnungen, den Zwist der Parteien und den Streit um Vergangenes ruhen zu lassen und alle Kräfte der Nation dem Aufbau und der Rettung des Vaterlandes zu weihen, sind ungehört verhallt. Eine rastlose und nichtswürdige Verhetzung, welche sich gegen die Staatsform richtet und ihre Diener für vogelfrei erklärt, treibt immer wieder unklare, politisch verblendete oder verwilderte Köpfe zu Mordversuchen und Mord. Ein Netz von Verschwörung droht den inneren Frieden, die Grundlage einer deutschen Erneuerung, zu zerstören. Der Mord an Rathenau ist nur ein Glied in einer Kette wohlvorbereiteter Anschläge auf die Republik.

(Sehr wahr! links.)

Zuerst sollen die Führer der Republik, dann soll die Republik selbst fallen.

(Lebhafte Zustimmung links.) In der Verteidigung gegen den verbrecherischen Anschlag muß Durchgreifendes geschehen.

(Sehr richtig! links und in der Mitte.)

Dem wachsenden Terror, dem Nihilismus,

(sehr richtig! in der Mitte)

der sich vielfach unter dem Deckmantel nationaler Gesinnung verbirgt,

(sehr wahr! bei den Deutschen Demokraten)

darf nicht mehr mit Nachsicht begegnet werden.

(Lebhafte Zustimmung links.)

Der Ruf „Die Republik ist in Gefahr!“ muß alle freiheitlichen, für den Aufbau eines demokratischen Staatswesens arbeitenden Schichten der Bevölkerung zusammenschließen und einigen.

(Sehr wahr! links und in der Mitte.)

Das Reichskabinett, eines seiner fähigsten und besten Mitarbeiter durch Meuchelmord beraubt, erkennt in der Stunde tiefster Trauer die politische Forderung dieser Stunde. Da Gefahr im Verzuge ist, muß schnell gehandelt werden. Die Reichsregierung hat daher dem Reichspräsidenten empfohlen, von seiner verfassungsmäßigen Befugnis Gebrauch zu machen und durch Verordnung den Schutz des Staates und der Republik und das Leben seiner durch politische Mordorganisationen bedrohten Vertreter zu sichern. Sie wird für strengste Durchführung dieser Verordnung Sorge tragen

(bravo! links und in der Mitte)

und sofort die Vorbereitungen treffen, um durch gesetzliche Vorschriften der moralischen und politischen Zersetzung entgegenzuwirken, die den Staat in seinen Grundlagen auf das schwerste bedroht. Die Reichsregierung versteht die tiefe Erregung des Volkes. Sie bedauert die wirtschaftlichen Rückschläge eines solchen Wahnsinns, welche die arbeitende Klasse am meisten treffen.

(Sehr wahr! links und in der Mitte.)

Die Reichsregierung hofft, daß das deutsche Volk in seiner verständlichen Erregung sich nicht zu Schritten verleiten läßt, welche die wirtschaftlichen und politischen Schäden und Wirren noch vermehren würden.

(Sehr gut! bei den Deutschen Demokraten.)

Sie erwartet vielmehr, daß das deutsche Volk sich hinter die Bemühungen der Reichsregierung stellen wird, und richtet daher an die Beamtenschaft und die Arbeiter aller Parteien und an das ganze freiheitliche Bürgertum die ernste und dringliche Mahnung, zum Schutze des Staates in Not und Gefahr zusammenzustehen.

(Bravo!)

Es lebe die Republik! — Die Reichsregierung!

(Lebhafter Beifall.)

Die Reichsregierung hat, wie ich schon betont habe, dem Herrn Reichspräsidenten empfohlen, von seinem verfassungsmäßigen Recht nach Art. 48 Gebrauch zu machen. Der Herr Reichspräsident, der sofort nach Berlin zurückkehrt, hat sich entschlossen, folgende Verordnung zu erlassen:

Verordnung zum Schutze der Republik, vom 24. Juni 1922.

Auf Grund des Art. 48 der Verfassung des Deutschen Reichs wird zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für das Reichsgebiet folgendes verordnet:

I. Verbotene Vereinigungen.

§ 1. Versammlungen, Aufzüge und Kundgebungen können verboten werden, wenn die Besorgnis begründet ist, daß in ihnen Erörterungen stattfinden, die zur gesetzwidrigen Beseitigung der republikanischen Staatsform oder zu Gewalttaten gegen Mitglieder der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes aufreizen, solche Handlungen billigen oder verherrlichen oder die republikanischen Einrichtungen des Staats in einer den inneren Frieden des Staats gefährdenden Weise verächtlich machen.

Vereine und Vereinigungen, die Bestrebungen dieser Art verfolgen, können verboten und aufgelöst werden.

§ 2. Zuständig für Maßnahmen nach § 1 sind die Landeszentralbehörden oder die von ihnen bestimmten Stellen.

(Hört! Hört! auf der äußersten Linken.)

Der Reichsminister des Innern kann die Landeszentralbehörden um die Anordnung einer solchen Maßnahme ersuchen. Glaubt die Landeszentralbehörde einem solchen Ersuchen nicht entsprechen zu können, so teilt sie dies spätestens am zweiten Tage nach Empfang des Ersuchens dem Reichsminister des Innern mit und ruft gleichzeitig die Entscheidung des im Abschnitt III vorgesehenen Staatsgerichtshofs zum Schutze der Republik an. Entscheidet dieser für die Anordnung, so hat die Landeszentralbehörde die erforderlichen Maßnahmen sofort zu treffen.

§ 3. Gegen eine Anordnung nach § 1 ist binnen zwei Wochen vom Tage der Zustellung oder Veröffentlichung ab die Beschwerde zulässig; sie hat keine aufschiebende Wirkung. Die Beschwerde ist bei der Landeszentralbehörde einzureichen. Diese kann ihr, außer im Falle des § 2 Abs. 2, abhelfen; andernfalls hat sie die Beschwerde unverzüglich dem Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik zur Entscheidung vorzulegen.

§ 4. Wer nach § 1 verbotene Versammlungen, Aufzüge oder Kundgebungen veranstaltet oder in solchen als Redner auftritt, wird mit Gefängnis von 3 Monaten bis zu 5 Jahren bestraft, neben dem auf Geldstrafe bis zu 500 000 Mark erkannt werden kann.

II. Strafbestimmungen zum Schutze der Republik.

§ 5. Mit Gefängnis von 3 Monaten bis zu 5 Jahren, neben dem auf Geldstrafe bis zu 500 000 Mark erkannt werden kann, wird, soweit nicht andere Vorschriften eine schwerere Strafe androhen, bestraft:

1. wer öffentlich Gewalttaten gegen die republikanische Staatsform oder gegen Mitglieder der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes verherrlicht oder billigt oder wer solche Gewalttaten belohnt oder begünstigt;

2. wer zu Gewalttaten gegen Mitglieder der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes auffordert, aufwiegelt oder solche Gewalttaten mit einem andern verabredet;

3. wer die Mitglieder der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes verleumdet oder öffentlich beschimpft;

4. wer öffentlich die republikanische Staatsform oder die Reichs- oder Landesfarben beschimpft;

(lebhafter Beifall links und in der Mitte)

5. wer an einer Verbindung der im § 128 und im § 129 des Strafgesetzbuchs bezeichneten Art teilnimmt, wenn die Verbindung den Zweck hat, die republikanische Staatsform zu untergraben.

III. Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik.

§ 6. Bei dem Reichsgericht

(Lachen und Zurufe bei den Kommunisten)

wird ein Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik errichtet.

(Erneute Zurufe von den Kommunisten.)

Der Gerichtshof entscheidet in einer Besetzung von sieben Mitgliedern. Drei Mitglieder ernennt das Präsidium des Reichsgerichts aus den Mitgliedern des Reichsgerichts; vier Mitglieder ernennt der Reichspräsident.

(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten und bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Die vom Reichspräsidenten ernannten Mitglieder brauchen nicht die Fähigkeit zum Richteramt zu haben.

(Stürmischer Beifall bei den Sozialdemokraten und bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Für die ordentlichen Mitglieder sind Stellvertreter zu ernennen. Die notwendigen ergänzenden Anordnungen trifft der Reichsminister der Justiz.

Anklagebehörde ist die Reichsanwaltschaft.

(Hört! Hört! bei den Kommunisten.)

Der § 147 Abs. 2 und § 153 des Gerichtsverfassungsgesetzes gelten entsprechend.

Auf das Verfahren finden die Vorschriften über das Verfahren vor den Strafkammern entsprechende Anwendung.

(Hört! Hört! bei den Kommunisten.)

Der Reichsminister der Justiz kann besondere Vorschriften erlassen.

§ 7. Der Staatsgerichtshof ist zuständig:

1. für Gewalttaten gegen die republikanische Staatsform des Reichs oder gegen Mitglieder der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes;

2. für die nach § 5 dieser Verordnung strafbaren Vergehen.

Die Anklagebehörde kann eine Untersuchung an die örtliche zuständige Staatsanwaltschaft abgeben; der Staatsgerichtshof kann eine bei ihm anhängig gewordene Untersuchung auf Antrag der Anklagebehörde zum ordentlichen Verfahren verweisen.

Diese Vorschriften sind auch anzuwenden auf die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnungen begangenen strafbaren Handlungen.

(Bravo! bei den Sozialdemokraten.)

Ist in der Sache bereits ein Urteil ergangen, gegen das die Revision zulässig ist, so entscheiden über die Revision die ordentlichen Gerichte.

IV. Beschlagnahme und Verbote von Druckschriften.

§ 8. Die Vorschriften des Gesetzes über die Presse vom 7. Mai 1874 über die Beschlagnahme von Druckschriften (§§ 23 ff. des Gesetzes) finden auch auf die in § 5 dieser Verordnung bezeichneten Vergehen mit der Maßgabe Anwendung, daß gegen den Beschluß des Gerichts, der die vorläufige Beschlagnahme aufhebt, die sofortige Beschwerde stattfindet und die Beschwerde aufschiebende Wirkung hat.

§ 9. Wird eine Beschlagnahme einer periodischen Druckschrift durch das zuständige Gericht angeordnet oder bestätigt, so kann die Druckschrift bis auf die Dauer von vier Monaten verboten werden. Auf die Zuständigkeit und das Verfahren finden die Vorschriften der §§ 2 und 3 Anwendung.

§ 10. Wer eine nach § 9 verbotene periodische Druckschrift herausgibt, verlegt, druckt oder verbreitet, wird mit Gefängnis von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, neben dem auf Geldstrafe bis zu 500 000 Mark erkannt werden kann.

V. Schlußbestimmungen.

§ 11. Mitglieder der Regierung des Reichs im Sinne dieser Verordnung sind der Reichspräsident, der Reichskanzler und die Reichsminister.

§ 12. Die Art. 118, 123, 124 der Reichsverfassung werden, soweit sie den Bestimmungen dieser Verordnung entgegenstehen, vorübergehend außer Kraft gesetzt.

§ 13. Die Verordnung tritt mit der Verkündung in Kraft.

Dazu kommt eine weitere Verordnung:

Verordnung über das Verbot bestimmter Versammlungen, vom 24. Juni 1922.

Mit Rücksicht darauf, daß bei der allgemeinen tiefen Erregung der Bevölkerung die nachfolgend genannten Veranstaltungen zu schweren Zwischenfällen führen können, verordne ich auf Grund des Art. 48 der Verfassung des Deutschen Reichs zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für das Reichsgebiet, was folgt:

§ 1. Die Landeszentralbehörden werden ermächtigt, die für den 28. Juni 1922 geplanten Veranstaltungen zur Erörterung der Annahme des Friedensvertrags oder damit zusammenhängender Fragen auch außer den Fällen des Art. 123 der Reichsverfassung zu verbieten.

(Bravo! bei den Deutschen Demokraten.)

Das gleiche gilt bis auf weiteres für die Regimentsfeiern und andere Versammlungen

(lebhafte Bravorufe bei den Sozialdemokraten und bei den Deutschen Demokraten)

von Angehörigen ehemaliger Truppenteile.

Wer eine hiernach verbotene Versammlung veranstaltet oder in einer solchen als Redner auftritt, wird mit Gefängnis von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, neben dem auf Geldstrafe bis zu 500 000 Mark erkannt werden kann.

Die Art. 118 und 123 der Reichsverfassung werden, soweit sie den Bestimmungen dieser Verordnung entgegenstehen, vorübergehend außer Kraft gesetzt.

§ 2. Die Verordnung tritt mit der Verkündung in Kraft.

(Lebhafter Beifall.)

Präsident: Meine Damen und Herren! Ich bitte, zuzustimmen, daß die Beratung über die eben gehörte Erklärung, wie es die Parteien des Ältestenausschusses vorgeschlagen haben, in einer Sitzung, die morgen, Sonntag den 25. Juni, mittags 12 Uhr, stattfindet, abgehalten wird. — Das Haus ist damit einverstanden.

Die Sitzung ist geschlossen





Quelle: Verhandlungen des Reichstags. I. Wahlperiode 1920. Band 355. 235 Sitzung. 24. Juni 1922, Stenographische Berichte. Druck und Verlag der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags-Anstalt, Berlin, 1922, S. 8037-39.

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