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Die Unterzeichnung des Friedensvertrages (1919)


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41. Sitzung.

Montag den 23. Juni 1919.

[…]

Bauer, Präsident des Reichsministeriums: Meine Damen und Herren! Im Namen der Reichsregierung habe ich Ihnen folgende Mitteilung zu machen.

Die Mehrheit der Nationalversammlung hat in ihrer gestrigen Sitzung meine Ausführungen gutgeheißen, in denen die Stellung der Reichsregierung zum Friedensschluß dargelegt wurde. Entsprechend diesem Votum und der darin ausgedrückten Bevollmächtigung haben wir gestern Nachmittag in Versailles eine Note überreichen lassen, die diese unsere Stellung mit aller Verwahrung und allem Vorbehalt darstellt und unseren Willen zum Vertragsabschluß folgendermaßen formuliert:

Die Regierung der Deutschen Republik ist bereit, den Friedensvertrag zu unterzeichnen, ohne jedoch damit anzuerkennen, daß das deutsche Volk der Urheber des Krieges sei und ohne eine Verpflichtung nach Artikel 227 bis 230 des Friedensvertrages zu übernehmen.

Darauf ist dem Gesandten von Haniel am späten Abend folgende Antwort zugegangen:

Herr Präsident! Die alliierten und assoziierten Mächte haben die Note der deutschen Delegation vom heutigen Datum geprüft und sind in Anbetracht der kurzen Zeit, die übrig bleibt, der Meinung, daß es ihre Pflicht ist, darauf eine unverzügliche Antwort zu geben. Von der Frist, innerhalb derer die deutsche Regierung ihre endgültige Entscheidung über die Unterzeichnung des Vertrages treffen muß, bleiben weniger als 24 Stunden. Die alliierten und assoziierten Regierungen haben mit der größten Aufmerksamkeit alle Vorschläge der deutschen Regierung hinsichtlich des Vertrages geprüft, sie haben darauf mit einer vollständigen Freimütigkeit geantwortet und die Zugeständnisse gemacht, die ihnen richtig zu sein schienen. Die letzte Note der deutschen Delegation enthält kein Argument, keine Bemerkung, die nicht bereits Gegenstand der Prüfung gewesen wäre. Die alliierten und assoziierten Mächte halten sich daher für verpflichtet, zu erklären, daß die Zeit der Verhandlungen vorbei ist. Sie können keine Modifikationen oder Vorbehalte annehmen und sehen sich gezwungen, von den Vertretern Deutschlands eine unzweideutige Erklärung zu fordern, über ihren Willen, den Vertrag in seiner endgültigen Form zu unterzeichnen und in seinem ganzen Umfange anzunehmen oder die Unterzeichnung und Annahme zu verweigern. Nach der Unterzeichnung werden die alliierten und assoziierten Mächte Deutschland für die Ausführung des Vertrages in allen seinen Bestimmungen verantwortlich machen.

(Hört! hört! und Bewegung.)

Empfangen Sie, Herr Präsident, den Ausdruck meiner Wertschätzung.

Clemenceau.

Damit, meine Damen und Herren, ist die Lage in zwölfter Stunde von Grund aus verändert, und damit stehen wir unrettbar vor der ungeheuren Frage: ablehnen oder bedingungslos unterzeichnen.

Die Reichsregierung hat Ihnen gestern die bedingte Unterzeichnung vorgeschlagen und dafür die Zustimmung Ihrer Mehrheit gefunden. Sie hat geglaubt, diesen letzten Versuch machen zu müssen, um etwas wenigstens von all den schönen Idealen zu retten, die unsere Gegner angeblich mit ihrem Kampf für die Menschheit erstreiten wollten. Sie hat territoriale Verkürzungen auf sich genommen, obwohl sie Millionen Deutsche Nation und Vaterland kosten; sie hat wirtschaftliche und finanzielle Lasten anerkannt, obwohl sie jede Arbeit fürs eigene Volk und sein Wohlergehen auf Jahrzehnte hinaus unmöglich machen. Aber eins wollte sie ihrem Volk ersparen: ein unwahres, erpreßtes Schuldbekenntnis und eine Auslieferung von Volksgenossen an ein Tribunal, bei dem Ankläger und Richter eins sind.

All das sind heute theoretische Betrachtungen. Die Entente hat unsern Vorbehalt abgelehnt, sie will uns das Schuldbekenntnis auf die Zunge zwingen, sie will uns zu Häschern unserer angeschuldigten Landsleute machen; es soll uns nichts, gar nichts erspart bleiben. Zur Verknechtung wollen uns die Feinde auch noch die Verachtung aufbürden!

Meine Damen und Herren! Unsere Hoffnung mit dem einzigen Vorbehalt einer Ehrenbewahrung bei unsern Gegnern durchzudringen, war nicht sehr groß. Aber wenn sie auch noch geringer gewesen wäre: der Versuch mußte gemacht werden. Jetzt, wo er mißlungen, an dem sträflichen Übermut der Entente gescheitert ist, kann und muß die ganze Welt sehen: hier wird ein besiegtes Volk an Leib und Seele vergewaltigt, wie kein Volk je zuvor.

Meine Damen und Herren! Keinen Protest heute mehr, keinen Sturm der Empörung! Alles müßte den grauenerregenden Eindruck abschwächen, der sich heute der Welt bietet: sie starrt teils in verhohlenem, teils aber auch in unverhohlenem Entsetzen auf diese Folterszene.

Unterschreiben wir! Das ist der Vorschlag, den ich Ihnen im Namen des gesamten Kabinetts machen muß. Bedingungslos unterzeichnen! Ich will nichts beschönigen.

Die Gründe, die uns zu diesem Vorschlag zwingen, sind dieselben wie gestern. Nur trennt uns jetzt eine Frist von knappen vier Stunden von der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten. Einen neuen Krieg könnten wir nicht verantworten, selbst wenn wir Waffen hätten. Wir sind wehrlos. Wehrlos ist aber nicht ehrlos!

[…]

Und nun, meine Damen und Herren, darf ich wohl annehmen, daß auch nach diesen Vorgängen die Regierung ermächtigt bleibt, den Friedensvertrag zu unterzeichnen.

Präsident: Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Schiffer (Magdeburg).

Schiffer (Magdeburg), Abgeordneter: Die Erklärung des Herrn Ministerpräsidenten, die wir bezüglich der gestern von der Nationalversammlung beschlossenen Ermächtigung nicht beanstanden wollen, gibt mir aber Anlaß zu der Feststellung, daß durch sie unsere Stellungnahme in der Sache selbst, wie ich sie gestern hier dargelegt habe, unberührt bleibt. Im übrigen habe ich zu erklären, daß bei meinen politischen Freunden kein Zweifel in die vaterländische Gesinnung und Überzeugung auch derjenigen gesetzt wird, die gestern mit Ja gestimmt haben.

Präsident: Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Schultz (Bromberg).

Schultz (Bromberg), Abgeordneter: Im Namen der Deutschnationalen Volkspartei habe ich folgendes zu erklären:

Die Deutschnationale Volkspartei steht nach wie vor auf dem Standpunkt der unbedingten Ablehnung des vorliegenden Friedensentwurfs

(Bravo! bei der Deutschnationalen Volkspartei)

und erhebt unter Festhaltung dieses grundsätzlichen Standpunktes Widerspruch gegen dessen Unterzeichnung.

(Erneute Zustimmung rechts. — Zurufe im Zentrum und links.)

Sie setzt als selbstverständlich voraus, daß jedes Mitglied der Nationalversammlung seine eigene Stellung nach bestem Wissen und Gewissen einnimmt.

Präsident: Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Heinze.

Dr. Heinze, Abgeordneter: Auf die Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten habe ich namens der Deutschen Volkspartei nur zu erklären, daß wir unsererseits den Friedensvertrag nach wie vor ablehnen. — Selbstverständlich erkennen wir an, daß auch die Gegner unserer Ansicht nur aus vaterländischen Gründen handeln.

(Beifall bei der Deutschen Volkspartei. — Bravorufe im Zentrum und links.)

Präsident: Meine Damen und Herren! Der Herr Ministerpräsident hat festgestellt, daß auch nach den von ihm geschilderten Vorgängen die Regierung seiner Auffassung nach ermächtigt bleiben soll, den Friedensvertrag zu unterzeichnen. Ein Widerspruch gegen diese Auffassung ist nicht erfolgt.

[…]

Meine Damen und Herren! Damit ist für uns vorläufig diese schmerzliche Angelegenheit erledigt. Ich stelle fest mit Genugtuung, daß von verschiedenen Seiten des Hauses anerkannt wurde, daß alle Teile des Hauses, ob ja, ob nein, nur aus vaterländischen Gründen sich bei ihren Abstimmungen leiten lassen, getragen von großen Gewissensbedenken, von der ernstesten Auffassung über die Lage unseres Vaterlandes.

Meine Damen und Herren! Ich möchte wünschen, daß der Geist, der sich zum allergrößten Teil in dieser Nationalversammlung soeben kundgegeben hat, sich auch hinausträgt in unser Volk.

(Bravo!)

Das wäre nun noch das allerschlimmste, wenn wir nach Vorgängen alter Jahrzehnte, die glücklich hinter uns liegen, in Schmähungen und Verdächtigungen gegen die vaterländische Gesinnung unserer Mitbürger uns ergehen wollten.

(Sehr richtig!)

Ich würde es in dieser schwersten Stunde des deutschen Volkes als das größte Verbrechen bezeichnen, das von innen heraus an demselben begangen werden könnte.

(Sehr richtig!)

Ich hoffe, daß man draußen in der gesamten Bevölkerung, daß man namentlich in der Presse dafür ein Verständnis hat und gewillt ist, nunmehr einträchtig die ungeheuren Lasten, die uns jetzt bevorstehen, auf sich zu nehmen, getragen alle zusammen von dem heiligen Willen vaterländischer Liebe. Im übrigen empfehlen wir unser unglückliches Vaterland dem Schutze des barmherzigen Gottes.

[…]



Quelle: Verhandlungen der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung 1919. Band 327, 41 Sitzung, 23. Juni 1919, Stenographische Berichte. Berlin: Druck und Verlag der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags-Anstalt,1920, S. 1139-1152.

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