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Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür. Rezension aus der Zeit (27. November 1947)

Der Schriftsteller Wolfgang Borchert gehört zu den wichtigsten Repräsentanten der sogenannten Trümmerliteratur. Im Krieg mehrfach wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt, an der Front verwundet und bei Kriegsende schwer krank, stirbt er 1947 im Alter von nur 26 Jahren. In seinem Hörspiel Draußen vor der Tür, das Ende 1947 auch als Theaterstück aufgeführt wird, versucht Borchert, den Gefühlen der entwurzelten und verzweifelten Generation der Kriegsheimkehrer Ausdruck zu geben.

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Da reißt er sein Herz blutig

Eine Rezension von Josef Müller-Marein


Kurz vor der Uraufführung seines Stückes in den Kammerspielen zu Hamburg ist der Dichter gestorben, und zwar in Basel, denn seine Freunde hatten ihn, krank, wie er war, zur Schweiz schaffen lassen, wo er sich erholen sollte. Er hatte nach seinen Angehörigen und Freunden gerufen, als er den Tod nahen fühlte, der ihm, dem durch Jahre ans Krankenbett Gefesselten, längst vertraut war. Doch ebenso wie er ihnen nicht den Gefallen tun konnte zu gesunden, vermochten sie ihm nicht darin gefällig sein, dass sie zu ihm kamen. Die Grenzen ... »Gibt denn keiner Antwort? Gibt denn keiner, keiner Antwort?«

Der Dichter ließ dies seinen Helden sagen, soweit man hier von Held sprechen kann, da es sich um einen Mann handelte, der an der »Heldenpflicht« des Kriegs zerbricht. Es sind die Worte, mit denen das Stück Draußen vor der Tür schließt. Fast eine Minute, nachdem der Vorhang gefallen war, blieb es still im Theater, ehe der Beifall losdonnerte. So stark war die Erschütterung durch dieses Stück, das sich mehr und mehr als die Biographie einer ganzen Generation und in vielem als ein Selbstbekenntnis des Dichters offenbart hatte!

Der ist nun gleich seinem Helden einsam gestorben, einsam und »da draußen vor der Tür«. Wolfgang Borchert war sein Name; ein Sechsundzwanzigjähriger. Und es ist angesichts dieses Zusammentreffens von Erfolg und Tod fast frivol zu sagen, daß die deutsche Literatur der Gegenwart um eine Hoffnung ärmer geworden ist. Denn was gilt angesichts der Geschehnisse unserer Tage die zeitgenössische deutsche Literatur! Von solchen Empfindungen war bei der Premiere viel zu spüren.

Der Publizist Peter de Mendelssohn, dem die Verfolgung durch die Nazis Gelegenheit gab, die Deutschen mit objektivierendem Abstand zu betrachten, sagte kürzlich ungefähr, wir allesamt hätten die Neigung, die Probleme statt in unserem Inneren auf dem Theater zu bewegen, um dann beruhigt heimzukehren im Bewußtsein, weiteres sei nicht mehr vonnöten. Mag das auch scharf und ablehnend klingen – es scheint viel Richtiges an dieser Beobachtung. Nun aber Borcherts Stück! Wüßte man nicht, daß es ursprünglich gar nicht fürs Theater gedacht war, man hätte es ohnehin sofort gespürt. Und seltsam: Die theaterfremden Züge haben das Werk nicht weniger wirksam gemacht. »Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will«, lautet zwar der Untertitel, aber der Dichter hat sich geirrt. Dreizehn Bühnen haben das Werk, dem Ernst Rowohlt als der Verleger auch des übrigen, natürlich nicht eben umfangreichen Schaffens Borcherts eine geradezu liebevolle Buchausstattung gab, zur Aufführung angenommen. Und irren wir uns nicht, so wird es auch nicht so bald aus den Spielplänen verschwinden. Und was uns heute ins Herz brennt, dürfte später immerhin als Zeugnis vom Sturm-und-Drang-Erlebnis unserer Tage rührend oder zumindest interessant bleiben.

Es war Ernst Schnabel, der Dramaturg des Nordwestdeutschen Rundfunks, der das Talent Wolfgang Borcherts zuerst entdeckte, dieses jungen Hamburgers, der da unheilbar krank (verschleppte russische Gelbsucht – sagen die Ärzte) aus politischer Gefangenschaft und aus dem Kriege heimgekehrt war. Und berechnet man den weiten Zuhörerkreis eines Hörspiels, so darf man sagen: Kein Stück ist jemals vor seiner Theaterpremiere so weithin bekannt geworden.

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