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Stefan Heymann, „Kosmopolitismus und Formalismus” (1. Dezember 1949)

In der DDR instrumentalisieren Staat und Partei Kunst und Literatur für den Aufbau des Sozialismus. Kunst und Literatur sollen die Wirklichkeit der neuen Gesellschaft widerspiegeln. Ende 1949 kritisiert der Leiter der Abteilung Kultur und Erziehung im ZK der SED, Stefan Heymann, die ostdeutsche Kunst der jüngsten Zeit als „kosmopolitisch“ und ideologisch unzureichend. Er hält den Künstlern vor, sich nicht von den Rahmenbedingungen bürgerlicher Kunstproduktion zu lösen, und empfiehlt einen intensiven Dialog mit sowjetischen Künstlern, um von ihrem Beispiel zu lernen.

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Als Paul Wandel in der feierlichen Sitzung zur Verteilung der Nationalpreise 1949 in Weimar bedauerte, daß unter den preisgekrönten Künstlern kein einziger Maler und nur ein Bildhauer war, legte er den Finger in eine offene Wunde. Seine Feststellung, daß kein Kunstwerk der letzten Jahre den Anforderungen eines Nationalpreises entspreche, war leider allzu wahr. Die Deutsche Kunstausstellung in Dresden hat dies noch einmal deutlich gemacht. Es handelt sich dabei ausschließlich um die ideologische Seite der bildenden Kunst, denn formal stehen die meisten Kunstwerke, die seit 1945 entstanden, auf beachtlicher Höhe.

Der wesentliche Mangel, der immer wieder in der bildenden Kunst festgestellt wurde, ist das völlige Fehlen einer wirklichen Verbundenheit mit dem Leben unseres Volkes. Darüber können auch die großen, kollektiv gemalten Wandbilder auf der Dresdener Kunstausstellung nicht hinwegtäuschen. Diese Bilder sind zweifellos ernstgemeinte Versuche, von außen her das Leben des Arbeiters, des Bauern und der schaffenden Jugend zu gestalten. Aber es sind – neben einigen wenigen anderen Bildern – Einzelerscheinungen.

Gerade die Dresdener Kunstausstellung hat mit erschreckender Deutlichkeit offenbart, daß der geistige Gehalt fast aller Bilder und Skulpturen kosmopolitisch, d. h. national wurzellos ist. Wohlverstanden, hier ist nur von den Werken und nicht von den Künstlern die Rede. Jeder weiß, wie tapfer viele Künstler in der Nationalen Front für die Einheit Deutschlands und einen gerechten Frieden kämpfen. Das mutige Verhalten von Professor Ehmsen ist beispielhaft für alle Kreise der Intellektuellen. Wir unterscheiden sehr wohl zwischen dem Künstler, der ein fortschrittlicher Mensch ist, und seinen Werken, in denen er sich noch nicht von der Vergangenheit befreit hat.

Auf keinem anderen Gebiet der Kunst ist der Kosmopolitismus so ausgeprägt wie auf dem Gebiet der Malerei und Bildhauerei. Es ist ein falsch verstandener Internationalismus, der selbst von zahlreichen fortschrittlichen Künstlern vertreten wird, wenn man sklavisch die Kunst anderer Völker nachmacht. Das bedeutet wiederum nicht, daß keine gegenseitige Befruchtung stattfinden solle oder könne, ganz im Gegenteil. Aber zwischen wechselseitigen künstlerischen Beziehungen und der meist kritiklosen Übernahme irgendeines »Ismus« bestehen doch große Unterschiede.

Kann man diesem Zustand in der bildenden Kunst weiterhin tatenlos zusehen oder ist es nicht höchste Zeit, endlich aus der Sackgasse herauszukommen? Ist es nicht die Verpflichtung der fortschrittlichen Künstler, die Ursachen für die eigenartige Lage der bildenden Kunst zu erkennen und aus der Erkenntnis die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen? Ist es nicht Aufgabe der fortschrittlichen Künstler, entschlossen und kühn neue Wege zu gehen, so wie unser ganzes Volk heute einen neuen Weg geht?

In den nachfolgenden Ausführungen sei versucht, einige der Ursachen, die zu der besonderen Lage in der bildenden Kunst geführt haben, aufzudecken.

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