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Walther von Hollander über Ehezerrüttung, Ehetrennung, Ehescheidung (1946)

Die unmittelbare Nachkriegszeit ist nicht nur von tiefgreifender materieller Not der meisten Deutschen geprägt, sondern vielfach auch von einer Zerrüttung persönlicher Beziehungen. Dies kommt in einer stark gestiegenen Ehescheidungsquote zum Ausdruck. Der Kolumnist und Rundfunkmoderator Walther von Hollander sieht dafür zum einen konkrete Ursachen wie wirtschaftliche Notlagen und persönliches Fehlverhalten eines Partners im Krieg oder danach, verweist zum anderen aber auch auf einen weitergehenden Wandel im Geschlechterverhältnis: Durch die Niederlage im Krieg demoralisierte und in ihrer traditionellen Autorität beschädigte Männer treffen zu Hause auf selbstbewußte und verantwortungsbereite Frauen, die sich an der „Heimatfront“ bewährt haben und ihre neue Rolle nun nicht ohne weiteres aufgeben können und wollen.

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Meist sind es junge Leute, die an der Not scheitern, aber es sind auch ältere genug, die, durch die grauenhafte Völkerwanderung oder auch nur durch den Erdrutsch der Weltanschauungen voneinander getrennt, nicht mehr zueinander finden können. Sehr häufig ist die Wohnungsmisere schuld, die materielle Aussichtslosigkeit. Oft liegt persönliche Schuld auf der einen oder der anderen Seite zwischen den Paaren. Etappenerlebnisse der Männer, über die sie leicht hinweggehen oder die sie sogar zu beleidigenden Vergleichen hinreißen, Kriegsabenteuer der Frauen, die nicht so leicht verziehen werden. Vernachlässigungen beider, wie sie leicht aus dem Alleinleben kommen. Manchmal trennt die beiden ein unfaßbares Nichts. Das Ergebnis ist das gleiche: Scheidung oder Scheidungsverlangen.

Die Frage, ob diese Ehezusammenbrüche auf eine allgemeine Ehekrise schließen lassen, ist nicht leicht eindeutig zu beantworten. Seit der Jahrhundertwende wird immer wieder von einer allgemeinen Ehekrise gesprochen, der völlige Untergang der Ehe wird prophezeit und mit ihr, ja, von ihr verursacht, der Untergang des Abendlandes. In meinem 1940 erschienenen Ehebuch ›Das Leben zu Zweien‹ bin ich auf Grund eines großen Tatsachenmaterials dieser Frage nachgegangen und zu dem Ergebnis gekommen, daß nicht etwa die tatsächlich vorhandene Ehekrise die allgemeine Krise des Abendlandes auslöste oder auch nur verstärkte, sondern daß sie lediglich ein Ausdruck der allgemeinen Kulturkrise war. Anders gesagt: in Zeiten des Übergangs ist zwangsläufig auch die Ehe im Übergang, in chaotischen Zeiten wird auch die Ehe chaotisch. In ihr als einer Zentraleinrichtung des Lebens zeigen sich selbst periphere Störungen in starkem Ausschlag seismographisch an. Als Hauptgründe der Ehekrise habe ich damals genannt: eine neue Stellung der Frau zum Leben und im Leben, das ist im Beruf, der auch eine neue Stellung in der Ehe entsprechen müßte, und eine neue Stellung zur Sexualität als zu etwas Lebensnotwendigem, Segensreichem, mit dem Sündenbegriff nicht mehr Einzufangendem.

Diese Thesen gelten im allgemeinen auch in der gegenwärtigen Situation. Zum Teil gelten sie verschärft. Die Frauen haben sich während des Krieges in einem männlich todbedrohten und männlich beruferfüllten Leben großartig bewährt. Sie haben – nur wer die Augen schließt, kann das leugnen – oft im Sexuellen ein Leben geführt, das sich bisher der Mann, mit Recht oder Unrecht, vorbehalten hatte. Nun gibt es unzählige Frauen – vielleicht sind es die meisten –, die nur allzu gern die Last des männlichen Lebens wieder an den Mann zurückgeben würden, während nicht alle ebenso bereit sind, die Lust des männlichen Lebens, seine relative Ungebundenheit, aufzugeben. Zweite Verschärfung: Männer und Frauen sind durch fast die gleichen Gefahren gegangen. Der zurückgekehrte Soldat konnte sonst Nachsicht und Schonung verlangen. Wer aber soll jetzt wen schonen? Jeder verlangt vom andern die Kraft, die fast unüberwindlichen Schwierigkeiten zu überwinden. Dritte Verschärfung: die Männer haben den Krieg geführt und verloren. Ihr Stolz ist durch die Niederlage verletzt. Sie kehren aber – wie eine kluge Ärztin meinte – nicht selten mit der Miene von Siegern heim. »Die Frauen« – so sagte die Ärztin – »haben den Männern ihr Leben anvertraut, sie sind ihnen sogar vertrauensvoll in diesen Krieg gefolgt, den sie innerlich ablehnten. Die Frauen wußten schon lange, daß der Krieg verloren war. Aber die Männer versicherten ihnen, sie würden ihn doch gewinnen. Nun nach der Niederlage können sie nicht verlangen, daß wir uns weiter ihrer Führung anvertrauen.« Ein bitteres, nicht sehr objektives Wort. Aber es gibt die Stimmung in weiten Kreisen der Frauen wieder. Es zeigt, warum die Männer nicht ohne weiteres das Kommando in der Ehe zurückbekommen. Die Frau hat Verantwortung zu tragen gelernt. Man wird ihr die Verantwortung nur abnehmen können, wo man tatsächlich die Kraft zu führen hat. Da freilich werden sich die Frauen gern und leicht wieder anvertrauen.

Noch eine sehr bittere Erscheinung, die auszusprechen schwer ist, die zu verschweigen sinnlos wäre. Es ist nicht nur so, daß der deutsche Mann besiegt heimkommt. Mit ihm sind die Sieger eingezogen, und er muß feststellen, daß ein kleiner, nicht sehr wertvoller Teil der Frauen den Siegern anheimfällt. Hierüber objektiv zu urteilen ist fast unmöglich. Dennoch müßte der deutsche Soldat auf Grund seiner Kriegserfahrungen zugeben, daß das nun mal in aller Welt so war und ist. Wünscht er etwa den Frauen, die ihn in der Fremde erfreuten, die Rache ihrer Landsleute? Sicherlich nicht. Aber um der Würde des Besiegten willen wünscht er sich natürlich, daß alle deutschen Frauen den moralisch notwendigen Abstand halten. Und er hat gegen die, die dagegen verstoßen, eine mit Haß gemischte Verachtung, die dort auch durchaus begreiflich ist, wo sich Frauen um geringer materieller Vorteile willen den Siegern ergeben.



Quelle: Walther von Hollander über Ehezerrüttung, Ehetrennung, Ehescheidung (1946), in Von den Toren der Wirklichkeit. Deutschland 1946-47 im Spiegel der Nordwestdeutschen Hefte. Ausgewählt und eingeleitet von Charles Schüddekopf. Berlin, Bonn, 1980, S. 315f; abgedruckt in Klaus-Jörg Ruhl, Hg., Frauen in der Nachkriegszeit 1945-1963. München: Deutscher Taschenbuchverlag, 1988, S. 35-37.

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