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„10 Jahre Sozialpolitik in beiden deutschen Staaten”: Artikel des ehemaligen Direktors der Sozialversicherung der DDR, Paul Peschke (Oktober 1959)

Die DDR sieht in der umfassenden sozialen Absicherung ihrer Bürger, der Garantie von Arbeit, Wohnraum, kostenloser Gesundheitsfürsorge und Rente für alle, wichtige Errungenschaften des Sozialismus. Ende der fünfziger Jahre stellt der ehemalige Direktor der Sozialversicherung der DDR, Paul Peschke, die Verhältnisse in Ostdeutschland dem westdeutschen Sozialstaat positiv gegenüber. In seinen Bemühungen, die bundesdeutschen Sozialpolitik der CDU-Regierung unter Konrad Adenauer zu diskreditieren und als arbeitnehmerfeindlich zu entlarven, zeichnet Peschke ein Zerrbild der bundesdeutschen sozialpolitischen Regelungen. Dies gilt besonders für seine Charakterisierung der Rentenreform von 1957, die mit der Einführung der dynamischen Altersrente westdeutsche Rentner erstmals regelmäßig am Wirtschaftswachstum teilhaben läßt, die Renten gegen zukünftige Geldentwertungen schützt und zu einem der größten innenpolitischen Erfolge der Regierung Adenauers wird.

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Zum Begriff Sozialpolitik gehört die Gesamtheit der gesetzlichen Maßnahmen eines Staates und die Tätigkeit der gesellschaftlichen Organisationen der Arbeiter und Angestellten auf sozialem Gebiet. In den weitgespannten Komplex gehören sowohl alle arbeitsrechtlichen Bestimmungen und Handlungen, wie Arbeits- und Entlohnungsbedingungen, Koalitionsrecht, Mitbestimmungsrecht, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Jugendschutz, Arbeitsschutz usw. als auch Sozialleistungen im Falle von Arbeitsunfall, Krankheit, Invalidität, Alter und die Gesundheitsfürsorge. Kurzum alle jene Gebiete, die zusammengenommen ein bestimmtes Maß sozialer Sicherheit ausmachen.

In den kapitalistischen Staaten gefährdet der Kampf der Ausgebeuteten um soziale Sicherheit die kapitalistische Profitwirtschaft, der bei Ausnutzung der bürgerlich-demokratischen Freiheiten das Maß von sozialer Sicherung zeitweilig vergrößern kann. Doch vollzieht sich gerade gegenwärtig in Westdeutschland ein Prozeß, der von den Gewerkschaften als „Soziale Demontage“ angeprangert wird. Er ist Ausdruck dafür, daß die monopolkapitalistischen Machthaber und die Militaristen nicht soziale Sicherheit, sondern soziale Unsicherheit und Verstärkung der ökonomischen Abhängigkeit der Arbeiter brauchen. Unter den Bedingungen der atomaren Aufrüstung betreiben sie daher, wie bereits vor 30 Jahren, soziale Abrüstung auf allen Gebieten der Sozialpolitik.

Im Bergbau z.B. zerstören gegenwärtig die Bonner Regierung und die Zechenherren alle Sozialpartner-Illusionen über fortschrittliche Sozialpolitik, Recht der Arbeit, „gerechte“ Entlohnung und Sicherheit des Arbeitsplatzes. Gleichen Lohn für gleiche Arbeit gibt es auch im zehnten Jahr der Adenauer-Regierung nicht.

Auf dem Gebiet der sozialen Leistungen sind Unternehmerverbände und Adenauers CDU unter dem Deckmantel sozialer Reformen dabei, die eben erst durch den großen Metallarbeiterstreik in Schleswig-Holstein erreichte materielle Sicherung im Krankheitsfalle wieder zu beseitigen.

Der Staatssekretär Dr. Claussen im „Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung“, der die Arbeiter schon früher frech beleidigte, hielt auf dem evangelischen Kirchentag in München eines der Hauptreferate, dem er den Titel gegeben hatte: „Versichert, aber nicht geborgen“. Der Titel zeigt schon die Perspektive dieser Seite Sozialpolitik im Bonner Staat: Versicherung ohne Sicherheit!

„Er soll sich wie ein Privatpatient fühlen“, begründete weiterhin Claussen in einem Interview in der „Welt der Arbeit“ vom 14. August 1959 die von ihm und Blank betriebene Kostenbeteiligung des den Arzt in Anspruch nehmenden Krankenkassenmitgliedes.

Die Krankenkassenreform der Adenauer, Blank und Claussen sucht die solidarische Versicherung der Arbeiter und Angestellten auf die Sorge des einzelnen für sich und seine Familie zu beschränken. Der berüchtigte „Rheinische Merkur“ hatte schon im Jahre 1958 höhnend die Argumente dafür geliefert:

„Wenn der Arbeitnehmer heute wirklich nicht fähig ist, einen Heilungsaufwand von 100 bis 150 D-Mark vorzulegen, so liegt das nicht an seinem zu geringen Einkommen, sondern an seiner Gewohnheit, von der Hand in den Mund zu leben, ohne jegliche Reserve ..... Er hat diese Gewohnheit aus einer proletarischen Vergangenheit mitgebracht. Und eine allzu fürsorgliche Sozialpolitik hat ihn dazu verleitet, sich in dieser Lebenslage häuslich niederzulassen.“

Der CDU-Mann Tacke, stellvertretender Vorsitzender des DGB, hatte aber am 25. Februar 1959 in Heidelberg darauf hingewiesen, daß 90 Prozent aller Arbeiter und Angestellten in der Industrie weniger als 500 DM im Monat verdienen und die amtlich errechneten Lebenshaltungskosten für einen vierköpfigen Haushalt 560 DM im Monat betragen.

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