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Pressespiegel „Wohin mit dem Baby?” Kritische Stellungnahmen zur Krippenbetreuung (1953)

In den 1950er Jahren wirbt die DDR-Regierung massiv darum, Frauen in den Arbeitsprozeß einzugliedern und feiert die steigende Frauenarbeitsquote als Durchbruch zur Gleichberechtigung der Geschlechter. Eine unerläßliche Voraussetzung dafür ist der massive Ausbau eines staatlichen Systems der Kinderbetreuung schon für Kleinstkinder. Die Leserbriefe in ostdeutschen Zeitschriften von 1953/54 machen deutlich, daß sowohl die Versorgung mit Krippenplätzen als auch die dortige Betreuung der Kinder noch schwere Mängel aufweisen.

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Zusammenstellung von Leserzuschriften in verschiedenen Zeitungen der Deutschen Demokratischen Republik 1953/54.


„Wohin mit den Kleinkindern? Stefanie Tomicki, eine Spinnerin im VEB Feintuch Finsterwalde, hat ein zehn Wochen altes Söhnchen, das sie nicht unterzubringen weiß. Zwar gibt es im Betrieb eine Säuglingskrippe, die aber für die vielen Kleinkinder bei weitem nicht ausreicht. Nach der Stillzeit nahm die Kollegin ihren Urlaub. Sie konnte eine weitere Woche nicht arbeiten gehen, weil sie nicht wußte, wohin mit dem Kind. Jetzt hat sie mit ihrer ebenfalls berufstätigen Mutter abwechselnd das Kind in Obhut, d.h. hat Stefanie Tomicki Tagschicht, dann geht die Mutter zur Nachtschicht. ‚Windeln gab es überhaupt nicht!‘ erzählte sie uns, ‚Auch auf Punktkarten habe ich nichts bekommen.‘“

Aus „Die Frau von Heute“, Organ des „Demokratischen Frauenbundes Deutschlands“, Berlin, Nr. 29 vom 17. Juli 1953.



„In einer Elternversammlung, von der Leiterin des Kinderdorfes Halle-Nord, Fischer- von Erlach-Straße, einberufen, konnte man sich vom Zustand des Kindergartens überzeugen. ... Die verantwortlichen Stellen der Stadtverwaltung werden Antwort geben müssen, wie es mit der warmen Verpflegung für unsere Kinder bestellt ist. Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Nicht, daß das Essen versalzen ist, nein, das mutet man unseren Kindern nicht zu. Die Versammlungsleiterin berichtete aber den Eltern, daß das Essen sehr schlecht zubereitet und zu wenig für unsere Kinder ist. Es ist auch vorgekommen, daß überhaupt kein Essen ausgegeben werden konnte.

Die Leiterin des Kindergartens steht nun hilflos den Kindern und deren Eltern gegenüber. Man staune: Es ist schon so weit gekommen, daß die Pflegerinnen Unterschriften von den Kindern einsammeln müssen, um mit deren Hilfe die Mißstände zu beseitigen.

Ich frage nun die verantwortlichen Stellen der Stadtverwaltung, ob das im Sinne unserer Regierung ist, die sich besonders für das Wohl unserer Kinder einsetzt? Für unsere werktätigen Frauen besteht doch selten die Möglichkeit, abends noch warmes Essen zu kochen. Außerdem haben die Kinder dann den Hunger übergangen und sind müde.“

„Freiheit“ (SED), Halle, Nr. 5 vom 7. Januar 1954.



„Bisher glaubten viele berufstätige Frauen, daß ihre Kleinkinder tagsüber in der Kinderkrippe gut aufgehoben sind. Doch mußten die Mütter feststellen, daß ihre Kinder in der Kinderkrippe in der Adolf-Damaschke-Straße abends noch auffallend hungrig und teilweise auch mißmutig waren.

Die Schuld ist in der verantwortungslosen Arbeit der Leiterin zu suchen. Sie hatte keinen Arbeitsplan ausgearbeitet, nach dem sich die Pflegerinnen hätten richten können. Außerdem wies nicht nur die Buchführung erhebliche Mängel, sondern sogar die Abrechnung der Lebensmittelkarten untragbare Differenzen auf. Die Leiterin wurde von ihren Pflichten entbunden und durch eine neue Kraft ersetzt.“

„Märkische Union“ (CDU), Potsdam, Nr. 208 vom 24. Oktober 1953.



Quelle: Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Hg., Sopade Informationsdienst. Der Arbeitseinsatz von Frauen in der Wirtschaft der Sowjetzone. Bonn, 1956, S. 18; abgedruckt in Dierk Hoffmann und Michael Schwartz, Hg., Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 8: 1949-1961: Deutsche Demokratische Republik. Im Zeichen des Aufbaus des Sozialismus. Baden-Baden: Nomos, 2004, Nr. 8/121.

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