GHDI logo


Magdalene Gutenberg, Redebeitrag auf einer Gynäkologentagung zur Schwangerschaftsunterbrechung nach Gewaltverbrechen (5./6. Oktober 1946)

Die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen bei Kriegsende, die Probleme bei der Familiengründung in der Zusammenbruchsgesellschaft und der politische und wirtschaftliche Druck auf die Frauen, sich aktiv am Wiederaufbau zu beteiligen und arbeiten zu gehen, macht die rechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs nach 1945 zu einem wichtigen frauen- und sozialpolitischen Thema. Im Fall einer Vergewaltigung ist der Schwangerschaftsabbruch in der sowjetischen Besatzungszone seit August 1945 erlaubt, aber die Regelung lädt zum Mißbrauch ein. Magdalene Gutenberg verteidigt im Oktober 1946 dennoch das Recht der Frauen, Schwangerschaften, die auf Vergewaltigungen beruhen, durch eine Abtreibung zu beenden.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 1


„Es sind in der heutigen Diskussion mehrfach erhebliche Vorwürfe laut geworden wegen der mißbräuchlichen Ausnutzung des Gesetzes vom 29.8.1945 über Unterbrechung der durch ein Sittlichkeitsverbrechen verursachten Schwangerschaft. Es wurde sogar zur Vermeidung dieser Mißbräuche die Aufhebung des Gesetzes gefordert. [ . . . ]

Dabei handelt es sich im Höchstfall um 25% und nicht, wie hier geäußert, um 50-75% von Fehlentscheidungen, in denen die Genehmigung zur Unterbrechung der Schwangerschaft auf Grund von falschen Angaben erteilt ist. Diese Tatsache, daß ein gewisser Prozentsatz von Fehlentscheidungen vorkommt, darf aber auf keinen Fall der Grund sein, das Gesetz vom 29.8.1945 zu beseitigen. Die Frau muß grundsätzlich das Recht haben, die Beseitigung der Schwangerschaft verlangen zu können, wenn diese Schwangerschaft durch ein Gewaltverbrechen verursacht worden ist. Ob von der Genehmigung der Unterbrechung im einzelnen Fall Gebrauch gemacht wird oder ob aus gesundheitlichen oder weltanschaulichen Gründen davon abgesehen wird, muß jeweils der einzelnen Frau überlassen werden. Zweifelsfragen über die Art und Zweckmäßigkeit der Durchführung der Unterbrechung der Schwangerschaft sind gegenüber dem grundsätzlichen Recht der Frau unbeachtlich.“



Quelle: Magdalene Gutenberg, Redebeitrag auf einer Gynäkologentagung zur Schwangerschaftsunterbrechung nach Gewaltverbrechen (5./6. Oktober 1946), Zentralblatt für Gynäkologie (1947), Heft 2; abgedruckt in Udo Wengst und Hans Günther Hockerts, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945. Bd. 2/2: 1945-1949: Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten. Dokumente. Baden-Baden: Nomos, 2001, Nr. 87, S. 185-86.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite