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Territoriale Reglementierung des jüdischen Lebens – Die Judenordnung Landgraf Georgs I. von Hessen (1585)

Im 16. Jahrhundert wurde die Stellung der Juden in deutschen Territorien zunehmend durch gesetzliche Bestimmungen geregelt. Während die Vorschriften die Diskriminierung nicht abschafften, brachten sie die deutschen Juden allmählich unter den Schutz des Gesetzes, erst im Reich und dann in den einzelnen Territorien. Die Vorbilder auf Reichsebene für diese Art von Regelungen waren unter Kaiser Karl V. (reg. 1519-56) verabschiedet worden, als Josel von Rosheim intensiv für den Schutz der Juden warb. Um 1500 wurden Juden noch immer des Ritualmordes (Blutbeschuldigung) und Hostienfrevels beschuldigt und dafür vor Gericht gestellt; bis zum Jahr 1600 waren die meisten dann in den Genuss einer wie auch immer gearteten gesetzlichen Sicherheit gekommen. In der letzten städtischen Erhebung gegen Juden, dem „Fettmilch-Aufstand“ in Frankfurt am Main 1614, gab es einige wenige Todesopfer, und die vertriebenen Juden durften in die Stadt zurückkehren, wenn auch unter einer einem restriktiveren Regime.

Die wichtigsten Schritte in Richtung rechtlicher Integration von Juden wurden nicht auf Reichs- oder Gemeindeebene getroffen, sondern in den fürstlichen Territorien. Hier setzte man die in den Reichsgesetzen von 1530, 1548 und 1577 festgeschriebenen allgemeinen Bestimmungen in lokales Gesetzesrecht für die Orte und Dörfer um, in die sich jüdische Gemeinden im Spätmittelalter aus den Städten zurückgezogen hatten. Die neuen Gesetze zielten generell darauf ab, einen jüdischen Lebensbereich abzustecken und damit Juden von ihren christlichen Mitbewohnern zu trennen. Während dies den Juden größere rechtliche Sicherheit gewährte, geschah es zum Preis der Isolierung. Solche Territorialgesetze begannen in der Pfalz 1515 und tauchten im Kurfürstentum Mainz, in Bayern und in Braunschweig-Wolfenbüttel auf. Die einzige umfassende Vertreibung fand 1543 im Kurfürstentum Sachsen statt, wo Martin Luthers harte Einstellung gegenüber den Juden dominierte. Seine Ansicht lief jedoch der vorherrschenden Tendenz zuwider, die Juden eher aus ethnographischer als aus theologischer Perspektive zu sehen, und die moderne Literatur neigt zur Überbetonung seines Einflusses. Die Hauptstoßrichtung bei der gesetzlichen Reglementierung von Juden verlief wie bei anderen Gruppen hin zu einer systematischen und detaillierten Gesetzgebung.

Die 1585 von Landgraf Georg I. (1549-96) für das Fürstentum Hessen-Darmstadt erlassene Judenverordnung ist recht typisch für die neue territoriale Reglementierung des jüdischen Lebens. Sie zeichnet sich jedoch aus durch ihren relativen Mangel sowohl an Schmähungen als auch an Diskriminierungen gegenüber Juden bei Kleidungsfragen. Diese Rechtsvorschrift, die sich auf ein Gesetz von 1539 stützt, wurde von nachfolgenden hessischen Fürsten wiederholt bestätigt.

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Ordnung unserer von Gottes Gnaden Georgen, Landtgraven zu Heßen, Graven zu Catzenelnbogen, Dietz, Ziegenhain und Nidda etc., welcher gestalt die Juden, so unter unserm Schutz wohnen oder wir in künftig uffnehmen werden, sich verhalten sollen

[1] Erstlich sollen die Juden unsern Amptleuthen in Gegenwarth deß Pfarhern eines jeden Orts, da sie geseßen seindt, mit ihrem Judischen Aidt versprechen, vor den Ihren keine Lesterung wider unsern Erlöser und Seligmacher Jesum Christum, den Sohn Gottes und der Jungfrawen Marien, oder auch seinen Gottlichen Namen und unsere christliche Religion zu treiben, noch auch die armen einfältigen Juden mit erdichten Menschensatzungen und Lehren, welche dem Gesetz und den Propheten nicht gemeß seind, zu beschweren, sondern sich aller Lesterung gentzlich zu meiden und in irer Lehr deßen allein zu verhalten, was ihnen in den Schriften Moisi und der Propheten furgebildet wirdt.

[2] Zum andern sollen sie geloben und schweren, daß sie anjetzo wenigers nicht, als auch bey Lebzeiten unsers geliebten Herrn Vaters gottseliger und christmilter Gedechtnus, niergendts newe Synagogen uffzurichten, sondern sich allein der alten und vorgebaweten in aller Still zu gebrauchen.

[3] Zum dritten sollen sie versprechen, mit niemandts der unserigen und sonderlich mit einfeltigen Leyen von der Religion Disputationen anzufangen. Da aber unserer Praedicanten einer oder mehr sich guthertziger Meinung mit ihnen in Disputation einlassen würde, sollen sie dann erst, wie ein jeder schuldig, ires Glaubens Antwort und Bekanntnuß geben.

[4] Zum vierten sollen sie sich unter den Praedigten, beidt, uf unsern Feyr- und Werckhtagen, inheimisch halten und keineswegs darunter uf der Gaßen irer Handthierung nachgehen, noch yemandts an der Praetigt verhindern, vielweniger sonsten unserer Underthanen in irer Religion hohnlachen oder sie in irem christlichen Glauben irrezumachen und darvon abzuführen understehen. Da aber solches im geringsten von ihnen vermerckt würde, soll solches an ihnen ohne einige Gnadt ernstlich gestraft werden.

[5] Zum funften sollen sie zimblicherweise kaufen und verkaufen, doch allein an denen Orten, da keine Zunfte seindt oder da sie die Zunfte leiden können; deßgleichen auch ire Wahr nicht verthewren noch dieselbig unsern Underthanen hoher ufftringen oder anschlagen, als sie sonsten bey Christen gultig ist. Wie sie dann ingleichen die Wahren, so den Christen zuvorderst geschetzt werden, ehir nicht verkaufen sollen, es sey dann ihnen dieselbe durch unsere Beampten und Diener auch geschetzt worden.

[6] Zum sechsten sollen sie alle ire Händel uffrichtig treiben, mit keinen unzimlichen Practicken oder Finantzen umbgehen.

[Übertretungen werden mit Verlust des verliehenen Geldes und der Hälfte der Güter des Wucherers geahndet. Geldverleih darf nur mit Vorwissen landesfürstlicher Beamten erfolgen. Ehemann bzw. Ehefrau müssen darüber informiert sein, wenn der jeweils andere Geld borgt, und dies einem Beamten anzeigen, damit »dieselben selbst sehen oder hören mögen, ob es uffrichtig zugangen«.]

[8] Zum achten sollen sie auch mit irem judischen Aidt betheuren, keinem unserer Beampten oder Diener oder auch deroselben Weiber etwz zu schencken und also sie damit zu corrumpiren und zu bestechen, daß sie ihnen in iren unbillichen Sachen durch die Finger sehen und ihren unzimblichen Wucher und Finantzerey verstatten [ . . . ].

[9] Zum neunden. Welcher Jud ein Christenweib oder Jungfraw schändet oder beschleft, der soll durch unßere Beampte unnachläßiglich zu Haften bracht und volgents, doch mit unserm Vorwißen, am Leben gestraft werden.

[10] Zum zehenden. Da ein Jud wissentlich gestolen Gut kaufte oder Geldt daruff liehe, soll derselbig durch unsere Beampten nicht allein in gebürlich Straf genommen, sondern auch deß gekauften Guts gantz und gar verlustig sein. Damit sich aber der Jud darin desto besser vorsehen könne, soll er keinem etwz leihen, er hab sich dann zuvor erkündigt, woher solch Gut komme und ob auch derjenig, so daselb verkaufen oder Geldt darauf entlehnen will, solches zu thun Macht habe oder nicht.

[11] Zum elften wollen wir auch, daß keinem außlendischen Juden gestattet oder zugelaßen werde, in unserm Gebieth zu kaufen oder zu verkaufen, weder wenig noch viel, daruff dann unsere Beampten mit allem Vleiß sehen sollen.

[12] Zum zwölften sollen sie, die Juden, uns jerlichs das gebürlich Schutzgeld, was ein jeder versprochen, unserm Kellner eines jeden Orts, in deßen anbevohlenem Ampt die geseßen seindt, zu rechter Zeit entrichten. Dargegen sie dann von ihnen in iren billichen Sachen gegen menniglichen, deßen wir zu Recht mechtig seindt, geschützet und gehandthabt, auch ihnen zu all demjenigen, dartzu sie befugt, verholfen werden solle.

[Art. 13 betont die Pflicht der Beamten, auf die Einhaltung der Ordnung zu achten.]

In uhrkunth unsers fur uffgetruckten furstlichen Secrets, geben zu Darmbstad am ersten Januarii anno domini 1585.



Quelle: Friedrich Battenberg, Judenverordnungen in Hessen-Darmstadt. Das Judenrecht eines Reichsfürstentums bis zum Ende des Alten Reiches. Eine Dokumentation. Wiesbaden: Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, 1987, S. 66-68; abgedruckt in Bernd Roeck, Hg., Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg 1555-1648. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, herausgegeben von Rainer A. Müller, Band 4. Stuttgart: P. Reclam, 1996, S. 79-84.

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